PETER UNFRIED über CHARTS
: Prinz Poldi. Jeden Tag

Warum wird Deutschlands größter Fußballtrainer-Philosoph, Uwe Rapolder, so bitter?

Wenn mal wieder irgendjemand einen Satz mit den Worten „a priori“ einleitet, ist Vorsicht geboten. Es wäre zu viel gesagt, dass es sich, ohne dass ein weiterer Beweis nötig wäre, um einen Dummschwätzer handelt. Der Verdacht steht selbstverständlich im Raum. Ganz anders verhält es sich, wenn es sich um einen Fußballtrainer handelt. Eigentlich müsste er von Standes wegen so was sagen wie: Der Schiedsrichter ist sackdoof, weil er uns einen Handelfmeter nicht gab. Stattdessen sagt er: „A priori muss man sehen, dass es verschiedene Körperteile gibt.“

Tja. Uwe Rapolder gilt nicht umsonst als Nr. 1 unter den Fußballphilosophen. Die besten Sätze des derzeitigen Trainers des Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln haben die ambitionierten Fußballforscher erregt wie nichts mehr seit César Luis Menottis Utopien vom linken Fußball.

Die neoliberale Politikerin Angela Merkel würde ihren Kampfbegriff „Sozialromantik“ herauskramen müssen – oder Schlimmeres, wenn Rapolder von seinem Konzeptfußball und dem „altruistischen Star“ philosophiert, der den Helden ablöst, dem Team dient und dessen individuelle Gaben sich erst auf der Basis eines funktionierenden Ganzen zum Nutzen aller entfalten.

Nun heißt aber der Star in Köln Lukas Podolski, 20. Ein guter Junge, sicher. Aber unlängst hat er die Begriffe „Konzeptfußball“ und „Dreckscheiß“ hintereinander benutzt. Daraus lässt sich ein Gegensatz zum Trainer belegen, den Podolski so nicht gemeint hat. Dennoch: Der Gegensatz ist da und besteht in der bloßen Existenz von Podolski.

Jeder weiß, dass die Stadt Köln verrückt ist. Okay, sagen wir: emotional veranlagt. Diese Veranlagung wird von ihrer Boulevardpresse potenziert – also von sämtlichen lokalen Medien. Das aber sind alle, weil es in Köln a priori nichts Wichtigeres als Köln gibt. Das ist ein Lebensgefühl, das man in Ermangelung oder zur Verdrängung echter Themen zwanghaft oder lustvoll auf das Thema mit der größten gefühlten Wichtigkeit überträgt: den FC.

Und nun hat Köln tatsächlich mal etwas Exzeptionelles. Einen (fast) echten kölschen Jungfußballer, der richtig gut ist. Den mag man doch nicht bloß als Teilchen des Konzepts eines importierten schwäbischen Philosophen haben. Den braucht man überlebensgroß. Prinz Poldi. Jeden Tag. Held, Krise, Held.

„Da wird ein Kult aufgebaut“, sagte Rapolder am Samstag nach dem 1:2 gegen den FC Bayern. „Das tut mir schon weh inzwischen.“ Auf dem Platz dagegen leiste der Spieler derzeit „zu wenig“. Das werde jetzt bestimmt wieder „als Großangriff aufgebaut“, aber bitte: „Das muss man doch sagen dürfen.“

Ganz rational betrachtet gehört Aufsteiger Köln – definiert durch den Personaletat – auch mit einem funktionierenden Podolski schlicht zu jenen sechs, sieben Klubs, die die drei Absteiger ausspielen. Trotz sechs Niederlagen in Folge steht man nicht auf einem Abstiegsplatz. Es gibt Schlimmeres.

Doch das grundsätzliche Dilemma ist unauflösbar. Jenseits der vielen kleinen Dinge, die dazu führen, dass Rapolders System nicht so funktioniert wie in Bielefeld. Er muss auf seinem Konzeptfußball bestehen, weil nur er zukunftstauglich ist. Grundsätzlich. Und an einem ökonomisch limitierten Standort sowieso. Köln aber muss auf seinen Helden bestehen. Das meint die Projektion, dass immer alles möglich ist. Und einer allein alles kann. Nur durch das Festhalten am Irrealen, Emotionalen meint Köln, Köln bleiben zu können (vgl. SPD).

„Trivialpsychologie“ nannte Rapolder am Samstag die analytische Arbeit der Kölner Medien. Vernichtender und gleichzeitig treffender ist Fußballjournalismus selten beschrieben worden. (Die Analogie zum politischen Journalismus ist offensichtlich.) Aus diesem Grund verkneife ich mir jetzt die sorgfältig zurechtfantasierten Spekulationen über die Ursachen und die Wirkungsweise der Benutzung des Begriffs „a priori“ auf das „Umfeld“. Nur so viel: Leider ist Medienreflexivität meist nicht der Versuch einer Veränderung der Verhältnisse. Sondern die Ankündigung des Endes.

Es kommt also mal wieder, wie es kommen muss: Erst geht Rapolder. Dann geht Podolski. Nur Köln bleibt Köln.

Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Fragen zur Philosophie? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER