Schlachten mit der Polizei im Osten von Paris

Seit dem Tod von zwei Jugendlichen kommt es zu nächtlichen Krawallen in Clichy-sous-Bois, einem Ort mit hoher Arbeitslosigkeit und hohen Einwandererzahlen. Innenminister Sarkozy setzt auf die Aufrüstung der Polizei

PARIS taz ■ „Alle schauen auf unsere Stadt. Lasst uns unseren Wut und unseren Schmerz in Würde zeigen“, sagt Bürgermeister Claude Dilain, als er am Samstag vor 500 Teilnehmern eines Trauermarsches einen Kranz bei einem von Stacheldraht und drei Meter hohen Mauern umgebenen Elektro-Trafo-Häuschen hinterlegt. In dem nach oben offenen Betonwürfel in Clichy-sous-Bois sind am Donnerstagnachmittag zwei Jugendliche ums Leben gekommen. Ein dritter liegt mit schweren Brandverletzungen im Krankenhaus. Die Medien sprechen von „Elektrokution“.

Clichy-sous-Bois, 28.000-Einwohner-Vorstadt, liegt im fernen Osten von Paris. Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Einwandererzahlen und eine „parallele Ökonomie“ – wie illegale Geschäfte zurückhaltend genannt werden – bestimmen das Leben in den „sensiblen“ Quartieren der Stadt. Seit der „Elektrokution“ vom Donnerstag ist Clichy-sous-Bois in Aufruhr. Die Feuerwehr, die zu dem Trafo-Häuschen kam, in dem Banou (15) und Ziad (17) umkamen und ihr 21-jähriger Kumpel schwere Verletzungen erlitt, wurde mit Steinwürfen empfangen. In derselben Nacht lieferten sich mehrere hundert Jugendliche und Polizisten stundenlange Schlachten. Dabei gingen unter anderem eine Kinderkrippe, mehr als zwei Dutzend Pkws, Bushaltestellen und Müllcontainer in Flammen auf; einige Polizisten wurden leicht verletzt. In der zweiten Nacht wiederholte sich das Spektakel mit ungebremster Gewalt und dem Einschlag einer echten Kugel in einen Polizeiwagen. In der Nacht auf gestern, in der die Polizei zahlenmäßig die Übermacht hatte, verlagerte sich die Aufruhr zu den wenige hundert Meter entfernten Wohntürmen eines Nachbarquartiers.

Über das Geschehen, das zu der „Elektrokution“ führte, gibt es unterschiedliche Versionen. Freunde der Toten wollen wissen, dass die drei Jugendlichen von Polizisten verfolgt wurden und sich in das Trafo-Häuschen flüchteten. Innenminister Nicolas Sarkozy spricht von einem „dramatischen Vorfall“ und behauptet, die Polizei sei „nicht am Ort des Geschehens“ gewesen. Übereinstimmend erklären beide Seiten, dass am Ursprung des 800 Meter langen Spurts von Banou, Ziad und ihrem Kumpel in das Trafo-Häuschen ein Polizeieinsatz gestanden hat. Am Donnerstag um 17.30 hatten Polizisten auf einer Baustelle mehrere Jugendliche bei einem Diebstahl erwischt. Den Rest des Geschehens untersucht jetzt die Justiz.

Innenminister Sarkozy, der in monatlichen Pressekonferenzen die Kriminalstatistik vorstellt, wertet die Aufruhr von Clichy-sous-Bois als Ermunterung für seine geplante Aufrüstung der Polizei. Bis Jahresende will er alle Polizeiwagen mit Kameras ausstatten. Und nächstes Jahr will er die ersten Polizisten mit „Taser X26“-Pistolen ausstatten, die elektrische Ladungen verschießen. Tatsächlich sind die Vorstädte trotz Sarkozys Säbelrasseln nicht sicherer geworden. Allein in den acht ersten Monaten dieses Jahres sind nach Polizeistatistiken in Frankreich 20.000 Autos verbrannt worden. Die Gewalt gegen Personen hat gleichzeitig und nach derselben Quelle um 3,83 Prozent zugenommen.

Bei der Kranzniederlegung in Clichy-sous-Bois sagt Ahmed, ein Freund der „Elektrokutierten“: „Wir sind nicht da, um Autos zu verbrennen. Wir brauchen Wohnungen, Arbeitsplätze und Geld für kulturelle Aktivitäten.“

DOROTHEA HAHN

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