Ein Problem zwischen den Ego-Shootern

Chaos Ein frustrierter Stürmer, ein Anklageverfahren und eine Pleite. Bei Real Madrid geht alles schief

Unzufrieden: Ronaldo Foto: reuters

MADRID taz | Was Emilio Butragueño als „Direktor für institutionelle Beziehungen“ von Real Madrid sonst noch so macht, weiß niemand genau. Staatsgeheimnis. Öffentlich tritt der mythische Extorjäger nach jedem Spiel auf der Ehrentribüne auf, wenn er in seinem Interview die amtliche Analyse vornimmt. Mit diplomatischen Floskeln und blinder Loyalität hat er dabei schon für manch nordkoreanischen Moment gesorgt; so verwunderlich wie in Sevilla hallte der Ruf aus der Pa­rallelwelt allerdings selten in die Fan­ge­mein­de. Butragueño bescheinigte Real ein „sehr gutes Spiel“.

Er meinte dasselbe Spiel, dessen zweite Hälfte die Kommentatoren als „Desaster“ einstuften. Das Spiel, über das Sergio Ramos sagte, jeder könne „die Adjektive benutzen, die er will“, fest stehe, „dass die Dinge überhaupt nicht gut gemacht wurden“. 2:3 verlor Real beim kriselnden Europa-­League-Sieger aus Andalusien.

Sevilla reichte es, die einzige Phase halbwegs zu überstehen, in der Real in dieser Saison zu überzeugen pflegt:die bis zur Führung: Ramos traf mit einem Fallrückzieher, bei dem er sich allerdings erneut an der Schulter verletzte (21.). Es folgten Indifferenz und Chaos, die einem aufgeputschten Ciro Immobile das ersehnte Comeback ermöglichten. Der aus Dortmund im Streit verliehene Italiener traf erstmals. „Wiedergutmachung für alles Leid“ nannte er seinen gekonnten Abstauber zum 1:1 (35.). Nach den Toren von Banega (60.) und Llorente tanzte Sevilla unter dem Olé des Publikums durch die letzte Viertelstunde, während sich bei Real wenig änderte. James Rodríguez’ Anschlusstor fiel mit dem Schlusspfiff.

„In solchen Stadien gewinnt man Meisterschaften“, schimpfte Ramos. Oder verliert sie eben. Gleich nach der Länderspielpause steigt der „Clásico“ gegen den jetzt um drei Punkte enteilten FC Barcelona. Aber der Kalender ist bei Weitem nicht das einzige Problem.

Es gibt die Verletzungsplage – zwölf Akteure sind unpässlich. Es gibt außerdem den Ärger um Karim Benzema, der seit voriger Woche in Frankreich ein Anklageverfahren am Hals hat. Wegen des Verdachts der Komplizenschaft bei der Erpressung seines Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena könnten ihm in einem Prozess fünf Jahre Haft drohen. Für Real waren schon die wenigen Wochen schmerzhaft genug, in denen auch er verletzt fehlte.

Der vielseitige Mittelstürmer gilt in Madrid im Fußball als unersetzbar, weil er das Bindeglied darstellt zwischen den Ego-Shootern Gareth Bale und Cristiano Ronaldo, die auch in Sevilla mal wieder aneinander vorbeispielten. Der bestenfalls halb präsente „CR7“ erwarb sich bei „Marca“ den neuen Spitznamen „CR3,5“. Ansonsten wird fleißig debattiert, ob nun diese Partie die unterirdischste seiner sechs Real-Jahre war – oder doch eher die fünf Tage zuvor gegen Paris, als er vor allem versuchte, dem Gegner zu schmeicheln.

Der halb präsente „CR7“ erwarb sich den Spitznamen „CR3,5“

So publicityträchtig, wie er im Interviewmarathon zur Premiere seines Dokumentarfilms mit einem Weggang flirtete („Warum nicht?“), ließ er in den Katakomben vor dem Anpfiff den Real-Präsidenten Florentino Pérez abblitzen („Habe ich so nicht gesagt“). Auf dem Spielfeld flüsterte er mit PSG-Trainer Laurent Blanc. Die Zeitung Le Parisien will sogar herausgefunden haben, was: „Ihre Mannschaft spielt gut, ich würde gern mit Ihnen arbeiten.“

Ein unzufriedener Superstar, ein Sturmpartner im Gesetzeskonflikt, Ärzte ohne Vertrauen, ein Trainer ohne Vision und eine Mannschaft ohne Eigenschaften: auf der Ebene der in­stitutionellen Beziehungen lässt sich das offenbar nicht alles ­klären. FLORIAN HAUPT