LeserInnenbriefe
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Ängste und Fakten

betr.: „Attacke mit Hindernissen“, taz vom 5. 11. 15

Auf die im Artikel zitierte Äußerung einer Besucherin der AfD-Veranstaltung in Dessau, sie fühle sich angesichts der Aufnahme von Geflüchteten „mit Füßen getreten“, möchte man ganz naiv entgegnen: Wieso denn das? Etwa weil Saturierte das Elend anderer als Provokation empfinden? Oder schaffen es sogenannte „Asylkritiker“ (wenn das mal kein Unwort-Kandidat ist) einfach nicht, zwischen ihren irrationalen Ängsten und der Faktenlage zu unterscheiden?

Auch in meiner Wohnumgebung gibt es seit mehreren Monaten diverse Flüchtlingsunterkünfte. Weder ziehen seitdem marodierende Refugee-Gruppen durch die Straßen, noch kam es zu Lebensmittelverknappung, Überfüllung des ÖPNV oder zu einem Anstieg der Vermüllung über das übliche Maß hinaus. Und selbst wenn so etwas aufgetreten wäre: Weshalb sollte ich mich davon persönlich angegriffen fühlen? Besitze ich etwa keinen Anteil an der von André Poggenburg beschworenen „Volksseele“?

Die Tatsache, dass zwei Angehörige desselben Volkes die Sachlage so unterschiedlich beurteilen können, belegt wohl ziemlich eindeutig die Nichtexistenz einer kollektiven seelischen Verfassung.

FRANK PÖRSCHKE, Hattingen

Gar nicht so übel

betr.: „Drei Geheimnisse“, taz vom 6. 11. 15

Köstlich, was Tobias Schulze aus der Aufgabe macht, über Epplers Buchvorstellung zu schreiben. Noch einen Tag später sinniere ich dem nach. Bin ja einer dieser Ü50er, bei deren Politisierung Eppler von Anfang an reinfunkte. Bei Tobias Schulze hingegen musste ich erst googeln: Nach der Ausbildung jetzt seit drei Jahren bei der taz. Aha!

Und köstlich, dass die taz eine halbe Seite Raum dafür gibt. Es wäre vielleicht ein Thema für eine ganze Sonderausgabe: Wie verstehen wir im Generationswechsel die Welt? Kann es sein, dass die Jungen, die uns jetzt in der Zeitung die Welt erklären, die Grundausstattung der Älteren nicht mehr brauchen? Ich fänd’s spannend.

Epplers neues Buch interessiert mich nicht. Ich ahne, dass es sein langweiligstes sein könnte. Aber wer neben ihm konnte in den letzten vier Jahrzehnten als Politiker derart wach, intelligent und unverwechselbar über die Bedeutung der Ökologie, die Friedensbewegung, das Auseinanderdriften von staatlicher Gewalt und Gewalt der Warlords, die Frage nach den menschlichen Grundbedürfnissen, die Chancen von gesellschaftlicher Teilhabe über politische Parteien etc. reden und schreiben? Und mit welchem Politiker außer mit ihm konnte man so konzentriert und anregend bei Veranstaltungen über Gott und die Welt diskutieren? In der Tat: Dieser Eppler ist gar nicht so übel …

MARKUS WURSTER, Schwäbisch Hall

Flapsig-flache Art

betr.: „Drei Geheimnisse“, taz vom 6. 11. 15

Die flapsig-flache Art des Beitrags von Tobias Schulze anlässlich der Vorstellung von Erhard Epplers Memoiren wird der Person und dem Lebenswerk dieses Mannes nicht gerecht. Schade, eine vertane Chance, jüngeren taz-Lesern diese eindrucksvolle ältere Person der Politik näherzubringen.

Epplers Buch „Wege aus der Gefahr“ (1981) war wegweisend, als viele damals das Wort Ökologie noch nicht buchstabieren konnten. Er war gradlinig, stand zu seinen Überzeugungen (Rücktritt von seinem Ministeramt im Konflikt mit Schmidt), gab vielen aus meiner Generation (*1943) durch sein Vorbild, seine Publikationen und als Vorsitzender der Programmkommission seiner Partei eine wichtige Orientierung. Er stand für die Verbindung von Politik, Geist und Moral. Seine Unterstützung der Hartz-IV-Reformen war sicher ein Fehler, von dem ich annehme, dass Eppler ihn selbst einräumt.

Für mich gehört Eppler mit Willy Brandt und einigen anderen zu den wenigen Lichtgestalten in der SPD, einer Partei, die für mich u. v. a. meiner Generation eine immerwährende Enttäuschung ist, heutzutage mehr denn je.

DIETER LEHMKUHL, Berlin

Die Alten sind gefragt

betr.: „Drei Geheimnisse“, taz vom 6. 11. 15

Genau so ist es: Die SPD hat ihre Geschichte verloren. Nur die Alten – ich bin 65 – wissen, wie die Protestwelle über die BRD schwappte und alle Willy, Willy!, riefen und die Nazis verdammten.

Auch Schröder fuhr 1980 zum besetzten Endlager-Bauplatz 1004 in Gorleben! Doch Gerhard Schröder, der Trickser, wollte die Macht und warf seine Grundsätze in den Müll. Unter Zuhilfenahme der CDU/CSU, die damals den Bundesrat beherrschte. Erhard Eppler, damals 77, hat diese Zeit in der evangelischen Kirche überlebt.

Jetzt sind die Alten gefragt, die gegen Nazis, Kapitalterror und für Freiheit, Naturschutz, Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gehen.

JOHANNES SPARK, Bremen