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Kulturschock: Eine russische AkkordeonlehrerinBalgführung bei Swetlana

Foto: J. Henglein-Bildau

Später

von Barbara Dribbusch

Angeblich wächst ja das Selbstbewusstsein mit den Jahren, wenn man es nur schafft, positiv zu denken und sich mit positiven Menschen zu umgeben, die einem Positives sagen. Selfempowerment! Und alles ist in Butter. Aber nicht, wenn man bei Swetlana K. eine Probestunde hat.

Ich entlocke meinem Instrument ein paar wimmernde Akkorde, ziehe es auseinander und schiebe es zu einem A-Moll-Akkord wieder zusammen. Frau K., geschätzt genauso alt wie ich, bedenkt mich mit einem strengen Blick. „Das ist värbotten, streng värbotten, während eines Akkords die Richtung des Balgs zu ändern. Sie müssen an den Grundlagen arbeiten!“ Frau K. hat Akkordeon in Moskau studiert und war in Russland staatlich anerkannte Akkordeonlehrerin. Auf dem Foto auf ihrer Homepage im Netz lächelt sie zuckersüß, aber das täuscht.

„Erstmal aufrecht hinsetzen“, fordert sie, „dann dass Akkordeon auf den linken Oberschenkel setzen, mit dem rechten Oberschenkel ein bisschen festklemmen. Nicht den Balg irgendwie hin- und herschieben, sondern in einem Bogen nach links herunterziehen, wie in einem Halbkreis. Mein Gott, wo haben Sie denn bisher Unterricht gehabt? „ Ich werde rot. Wie kann man eine Schülerin so herunter machen. Dabei war ich vorgewarnt. Die russischen Musiklehrer seien die strengsten der Welt, hatte mir mein Bekannter Thomas erzählt.

Ich schlage ein paar Töne eines Tangos an, aus meinem Einsteigerbuch. Der Tango hatte bei Joanne immer Begeisterungsstürme ausgelöst. Joanne war bis vor Kurzem meine Akkordeonlehrerin gewesen, doch leider ist sie in ihre Heimat nach Kalifornien zurückgezogen, deswegen bin ich überhaupt bei Frau K. gelandet. „Großartig! Phantastisch!“ hatte Joanne bei meinen Tangoversuchen geschwärmt, „da spürt man das Pariser Flair“. Joanne gab hauptberuflich Seminare als Motivationstrainerin, sie hatte mir gleich das Du angeboten. „Das Leben ist ein einziger Fortschritt“, war einer ihrer Leitsätze. Ich war immer hoch erhobenen Hauptes aus Joannes Akkordeonstunde herausgeschwebt. Das Hochgefühl war nur getrübt durch den leisen Verdacht, dass Joannes Lobeshymnen auch irgendwas mit Kundenbindung zu tun haben könnten, in der amerikanischen Variante. Ich hatte mal eine Kommilitonin, Tanja, die als Austauschstudentin an eine Universität nach Virginia ging. Tanja lobte die Essays ihrer Kommilitonen mit den Worten „quite good“, denn „ganz gut“, das war im ruppigen Westberlin der damaligen Zeit ein Superkompliment. In Virginia aber löste Tanja mit ihren „quite good“-Komplimenten echte Irritationen aus, erzählte sie mir, denn alles unter „great! awesome! phantastic!“ wurde dort als schwere Beleidigung verstanden.

„Ganz gut“ meint Frau K. und lächelt nicht, „versuchen Sie es nochmal. Denken Sie an den Balg“. Ich stütze das Akkordeon auf das linke Bein, mein linker Arm öffnet den Balg weit nach außen und unten, in einem Bogen. Das Instrument atmet wie ein Tier. Klingt melancholisch. Toll. Ja, die Balgführung, die Grundlagen. Stimmt schon. Ich bleib erst mal hier. Für eine Weile.

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