THE HIVES HOLEN SICH KOMPLIMENTE AB, IM HAU SIND CHARISMATISCHE BERATER TÄTIG
: Nimm diesen Eyeliner, großer Bruder

VON JENNI ZYLKA

Mit Howlin’ Pelle Almqvist hab ich jetzt auch Schluss gemacht. Was der sich einbildet, dieser Angeber! Ich kann mich nicht erinnern, dass The Hives früher schon so furchtbar publikumsanimationsfixiert waren, minutenlanges „Clap your hands, Berlin crowd!“, „Stomp your feet, Berlin crowd!“, „Berlin crowd“ hier und „Berlin crowd“ da, anstatt einfach zu spielen.

Mindestens die Hälfte des Konzerts am Sonntag im Kesselhaus bestand aus Fishing for Compliments, und das wäre ja eigentlich noch nicht so schlimm, schließlich klatscht man gern für einen blutjungen Schweden im schwarzen Hemd und weißen Handwerkeroverall, der lachen kann wie Pippis Soulbrother Tommy.

Aber da die Song-Interludes zwischen den langen Frontsauattacken auch nicht mehr so überzeugten, wie zu „Barely Legal“ oder „Tyrannosaurus Hives“-Zeiten, sondern wie unausgegorene 80er-Jahre-Reminiszenzen klangen, die Gang of Four nachmachen wollen, aber nicht können, wollte ich nicht mitschwingen mit der Berlin Crowd. Und Paul Youngs „Come back and stay“ muss man ja wohl wirklich nicht covern, oder? Nur die Bodenturnversuche von Howlin’ Pelle, die aussahen, wie es eben aussieht, wenn jemand unaufgewärmt in den Damenspagat rutscht, fand ich prima. Auch dass er aus Showgründen fontänenhaft mit Beck’s herumspuckte, was dem Sponsor gegenüber einen subversiven Unterton in die Zweckbeziehung brachte, war toll. Recht hat er ja. Beck’s ist ein mundgeruchevozierendes Labbergetränk, und nur, weil „Sail Away“-Interpret Hans Hartz schon tot ist, kommt er an dieser Stelle um einen „Hans Hartz IV“-Witz herum.

Sonntag war überhaupt nur der Abschluss eines langen, mit kulturellen Kabinettstückchen vollgepfropften Wochenendes: Freitag hatte ich bereits den „Salon Realfiktion“ beim Spektakel von Hannah Hurtzig im HAU 1 eröffnen dürfen. „Am Schauplatz der Intimität – Eine Phatasmagorie“ hieß der auf mehreren Ebenen operierende Versuch, die Sujets „Körper, Sprache und Gefühle“ wissenschaftlich-theatralisch aufzuarbeiten. Unten drehte sich ein Silhouettenkarussel, in dem ExpertInnen über Liebe, Tanz und Horror redeten. Daneben ein kleines Kino mit einigermaßen schmutzigen Filmchen. Und im ersten Stock die „charismatischen BeraterInnen“ mit Für-lau-Tipps zu „Exzessen“ oder „sich verlaufen“.

In einer Loge war eine Augenarzt-Apparatur aufgebaut, mit der fleißige StudentInnen von der FU im Rahmen ihres Projekts „Languages of Emotion“ herausfinden wollten, ob der Mensch Zeitungsartikel anders liest als fiktionale Texte. Aber das sogenannte Eye-Tracking-System, mit dem errechnet wird, auf welchen Worten das Auge besonders lange verweilt, hatte seine Tücken und kam gar nicht erst durch meinen Eyeliner, was mich insofern freute, weil das ja auch bedeutet, dass ich jederzeit meine Identität wechseln und problemlos untertauchen könnte, zumindest, wenn die Sicherheitsvorkehrungen in all unseren Überwachungsstaaten endlich auf den digitalen Augenscanner bauen.

So viel hatte ich mit den Menschen zu bereden, die aus der Eye-Tracking-Loge herauskamen und sich zum Debriefing auf ein Glas Champagner auf mein Realfiktionssofa hockten. Am Ende des Abends kam ich mir vor wie in der Küche einer netten, großen Party. Aber das Sozialisieren wird in diesen Zeiten eh groß geschrieben, nicht nur, weil es als Substantiv verkleidet daherkommt. Schließlich geht kein Wochenende ins Land, an dem nicht irgendjemand kurz vor Jahresende noch mal seine FreundInnen sehen möchte, und darum schnell ein bisschen Mehl und Wasser verpantscht. Besser spät als nie, sage ich dazu, und überhaupt: Ich bin so cheap, ich nehme jede Party mit, wenn es nur Kekse gibt.