Drei Geheimnisse

ACH SO Der frühere SPD-Entwicklungsminister Erhard Eppler stellt in Berlin seine Memoiren vor – und zeigt unserem Autor, wie man richtig Geschichte schreibt

Freunde im Geiste: Sigmar Gabriel und Eppler auf dem Parteitag 2009 Foto: Matthias Rietschel/ap

von Tobias Schulze

Die Arbeit in einer Redaktion ist kein Spaß, glauben Sie mir das. Diesen Mittwoch zum Beispiel: Ich habe den Vormittag ganz gut rumgebracht und denke gerade ans Mittagessen, als das Telefon klingelt. Der Chef ruft an.

„Eppler stellt heute Abend sein Buch vor. Kannst du hingehen?“, fragt er. „Eppler? Das ist doch irgend so ein Alter aus der SPD?“, frage ich zurück. Kurz ist es still, der Chef ringt wohl um Luft. Schließlich antwortet er empört: „Eppler ist nicht irgend so ein Alter, Eppler war einmal die Hoffnung aller Linken!“

Ich erzähle das, um den Unterschied zwischen Ihnen und mir klarzumachen: Als Leser der taz, zumindest der Printausgabe, sind sie statistisch gesehen älter als 50 Jahre. Die Chancen stehen gut, dass Sie Erhard Epp­ler noch als Entwicklungsminister erlebt haben. Ich dagegen bin 27. Ich musste nach dem Mittagessen also erst auf Wikipedia nachlesen, dass Eppler 1974 zurücktrat, weil er mit Helmut Schmidt nicht klarkam.

Diese Bildungslücke trifft sich in diesem Fall ganz gut: Ich bin die Zielgruppe. Wer wie Eppler eine Autobiografie schreibt, richtet sich schließlich an die Nachgeborenen. Er möchte beeinflussen, in welche Schublade ihn die Nachwelt einmal steckt. Dafür muss er die drei großen Kniffe der Geschichtsschreibung beachten.

Nummer eins: das richtige Setting. Fünf Stunden nach dem Telefonat sitzt Eppler im Foyer des Willy-Brandt-Hauses. Links von ihm steht die Willy-Brandt-Skulptur, die immer dort steht. Rechts von ihm sitzt der Sohn von Willy Brandt, der die Veranstaltung moderiert. Die Aura des Vergangenen füllt den Saal, die Aura der Malocherpartei und ihres großen Ehrenvorsitzenden. In diese Aura hinein spricht nun Eppler, schon 88 Jahre alt, aber noch immer mit klarer Stimme.

Er erzählt vom Neoliberalismus: Dass dessen Thesen so viele Zuhörer in der SPD gewonnen hätten, sei eine Schande. Dass seine Partei irgendwann wieder einen Staat gegen die Marktradikalen aufbaue, sei seine große Hoffnung. „Ja, davon träume ich“, sagt Eppler.

Wahnsinn, denke ich. So waren die Sozen mal drauf?

Hier kommen wir zu Kniff zwei: die selektive Erinnerung. Deren Wirkung begreife ich am nächsten Morgen, als ich in der Reaktionskonferenz von der Buchvorstellung berichte. „War toll, da saß ein richtiger Sozialdemokrat!“, sage ich.

Was für eine Blamage. „Der Eppler?“, fragt ein Kollege, der schon länger dabei ist. Dann murmelt er etwas von einem Parteitag und Hartz IV. Ich solle doch mal ins Archiv schauen.

Tatsache: Im Jahr 2003, damals war mir die SPD noch egal, schrieb die taz über den Parteitag im Berliner Erstrel-Hotel. Gerhard Schröder boxte dort die Agenda 2010 durch. Sein wichtigster Helfer: Erhard Eppler, der die Delegierten von der Bühne aus aufrief, den Kanzler zu unterstützen.

„Wer wie Eppler eine Autobiografie schreibt, richtet sich an die Nachgeborenen – also an mich“

Im Buch kommt der Parteitag nicht vor. Verständlich. Wenn ich einmal meine Biografie schreibe, werde ich solche Details auch auslassen. Ich werde mein Buch übrigens im taz-Café vorstellen und mich an Kniff drei erinnern: die richtigen Gäste einladen.

Als Eppler über den Ukrainekonflikt redet, zeigt er seine klare Haltung: Der Westen habe Putin provoziert, die Sanktionen gegen Russland seien ein Fehler, aber keine Zeitung in Deutschland begreife das. Epplers Position ist nicht platt, sie ist gut durchdacht, und wenn nun jemand eine Gegenfrage stellen würde, könnte sich bestimmt eine interessante Diskussion entwickeln. An manchen Stellen müsste Eppler dann vielleicht zurückrudern.

Aber er hat ja die richtigen Gäste eingeladen. „Ich will dir nicht widersprechen“, sagt der Moderator aus dem Hause Brandt und leitet zum nächsten Thema über. Das ist ehrenwert, die Veranstaltung soll schließlich nicht zu lange dauern, weil die Hauptperson fast 90 ist und hinterher auch noch Autogramme schreiben soll.

So endet der Abend ohne Widerspruch, aber mit meiner ehrlichen Erkenntnis: Dieser Eppler ist gar nicht so übel. Zumindest weniger übel als andere Sozialdemokraten, die in diesen Zeiten ihre Biografie vorstellen.