Unversöhnliche Fronten

POP und KP Unterwegs mit Jorge Arrate und Gustavo Cerati. Die politisierte Kunstszene in Chile mobilisiert für die bevorstehende Präsidentschaftswahl

Ein sommerlicher Freitagabend in Santiago de Chile. Galería Metropolitana, ein unabhängig betriebener Kunstraum in Pedro Aguirre Cerda, einem früheren Textilarbeiterstadtteil an der Peripherie Santiagos, hat eingeladen. Eine neue Publikation soll vorgestellt werden: „Kulturelle Überlegungen für die Linke / Ein Archiv im Aufbau“. Dazu gibt es Wein, Videoprojektionen und einen spektakulären Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Anden gratis. Die vorgestellte Veröffentlichung im Zeitungsformat enthält alphabetisch sortiert unterschiedlichste kurze Beiträge von Künstlern, Schriftstellern, Kritikern und Intellektuellen zu Begriffen wie Abtreibung, Bildung, Erinnerung, Identität, Korruption, Utopie. Die Herausgeber wollen damit die Kampagne von Jorge Arrate, dem Kandidaten der KP und unabhängigen Linken, unterstützen.

Am 13. Dezember wird in Chile der neue Präsident gewählt. Obwohl die Sozialistin und Vertreterin der Concertación, Michelle Bachelet, große Sympathie in der chilenischen Bevölkerung genießt, sieht die chilenische Verfassung für sie keine zweite Amtszeit vor. Wie in den Wahljahren zuvor stehen sich extreme Rechte und das Wahlbündnis der Concertación mit ähnlichen Stimmanteilen gegenüber. Der politisierte Teil der Kunstszene unterstützt nun im ersten Wahlgang den Außenseiterkandidaten Jorge Arrate.

An diesem Abend erwarten die Gäste der Galerie – ein Mix aus Anwohnern, Kommunalpolitikern, Künstlern und Intellektuellen – ungeduldig die Ankunft des Achtundsechzigjährigen. Mit viel Applaus wird Arrate schließlich empfangen. Der ist Profi, war Erziehungsminister der Concertación unter Aylwin (1992–1994), später Arbeitsminister und Generalsekretär der Regierung Frei Ruiz-Tagle. Vor dem Putsch 1973 und dem anschließenden Exil leitete er zeitweise den Verlag Quimantú, ein Projekt der Unidad Popular zur massenhaften Verbreitung von Literatur. Noch am 11. September 1973 wurde Quimantú von den Militärs geschlossen, die Bücher wurden verbrannt. So bemerkt auch der Schriftsteller Alejandro Zambra in seinem Beitrag unter B wie Bibliothek, „dass von allen Präsidentschaftskandidaten nur Jorge Arrate glaubt, dass es wichtig wäre, dass in Chiles Haushalten Bücher vorhanden sind“. Die Forderungen nach Zugang zu Bildung und nach sozialer Gerechtigkeit und Toleranz gegen Minoritäten sind nach wie vor nicht erfüllt, wie die unverändert ungleiche Verteilung der Gewinne in dem Land mit andauernd hohen Wachstumsraten zeigt.

Nach einem Glas Wein und der Ansprache Jorge Arrates, in der er die Geister der Unidad Popular und Allendes beschwört, und nachdem sich auch der Abgeordnete der KP, Guillermo Tellier, dazu hat hinreißen lassen, ausgiebig Victor Jara zu zitieren, brechen wir auf, um uns sowohl geografisch wie auch sozial ans andere Ende der Stadt, nach Vitacura, zu begeben.

Wir sind zu einer Gartenparty am Pool eingeladen. Ein paar argentinische Musiker sind zu Gast. Riesige Mengen Fleisch liegen bereits auf dem Grill. Die meisten Anwesenden kennen sich schon seit Jahren, sind Architekten oder Designer. Die Gastgeberin erzählt mir von ihrer Schulzeit in einem deutschen Internat in Temuco, im Süden Chiles. Später unterhalte ich mich mit einem Typ mit Hut. Es ist Gustavo Cerati, die argentinische Popikone – aber das bemerke ich erst, als wir gehen wollen.

EVA-CHRISTINA MEIER