"Weniger und besseres Fleisch essen"

Bewertung Fleisch an sich hat der Menschheit nicht geschadet, sagt Hendrik Haase

Hendrik Haase

Foto: Andreas Körner

31, ist Foodaktivist, Blogger und Autor. Eben ist sein Buch „Crafted Meat“ erschienen, das neue Metzger porträtiert, die sagen: „Weniger, aber besser“ (gestalten).

taz: Herr Haase, ist Fleisch jetzt das neue Rauchen?

Hendrik Haase: Absolut nicht. Wir essen seit Tausenden von Jahren Fleisch. Das hat der Menschheit nicht geschadet. Ich denke, die Geschichte muss wegen dieser Studie nicht umgeschrieben werden.

Sie halten die IARC-Studie also nicht für seriös?

Doch sogar sehr. Es ist eine Kohorten-Studie, also eine Untersuchung, die viele andere zusammenfasst. Davon haben wir viel zu wenige. Ich zweifele auch nicht an der Seriosität der Wissenschaftler, sondern kritisiere, was in der Öffentlichkeit aus der Studie gemacht wird.

Fleisch ist gleich Krebs?

Genau das ist zu kurz gefasst. Wenn man sich die Studie genauer ansieht, dann beschäftigt sie sich nicht mit Fleisch, sondern mit dem fleischlastigen, westlichen Ernährungsstil. Zusammengefasst wurden Untersuchungen vor allem aus Europa, den USA und Japan. Außerdem ist darin von „pro­cessed“, also weiterverarbeitetem Fleisch die Rede. Ich kann daraus nicht lesen, wie das verarbeitet wurde. In den meisten Studien, die ich kenne, wird unter „processed“ industriell verarbeitetes Fleisch verstanden. Wenn man also irgendetwas aus der Studie herauslesen will, dann, dass die Forscher sagen: Esst weniger und besseres Fleisch. Das sage ich auch.

Man liest fast monatlich Ernährungsstudien, und sehr häufig geht es dabei um Fleisch. Soll man die Ergebnisse überhaupt noch ernst nehmen?

Das Problem vieler Studien ist, dass sie einen monokausalen Zusammenhang herstellen. Der allgemeine Ernährungsstil eines Menschen fällt aus dem Blick. Das ist der Unterschied zu Tabak. Hier existieren genügend Studien, die sagen: Rauchen allein ist krebserregend. Bei der Ernährung gibt es aber viele Wechselwirkungen und Störfaktoren, die einen solchen Schluss nicht zulassen. Vor ein paar Jahren hatten wir eine ganz ähnliche Diskussion mit Bratkartoffeln. Damals galt auf einmal Acrylamid, das beim Frittieren von Pommes entsteht, als krebs­erregend und hoch gefährlich – ungefähr so lange, bis man herausgefunden hat, dass Acrylamide auch in Knäckebrot enthalten sind.

Ihnen sind diese Ergebnisse also zu pauschal?

Was ich vermisse, nicht nur beim Fleisch, ist bei solchen Untersuchungen: Um welche Zutat geht es genau, wo kommt sie her und wie wurde sie verarbeitet? Deswegen helfen mir diese Studien wenig. Wer wenig Fleisch isst, wird meist hochwertigeres Fleisch kaufen, bei dem Tiere auch völlig anders aufgezogen wurden als bei Billigfleisch aus dem Discounter.

Was soll man als Verbraucher mit der IARC-Studie machen?

Man sollte damit so kritisch umgehen wie mit Aussagen, dass irgendwelche Nährstoffe oder Lebensmittel ganz besonders gesund für den Organismus sein sollen. Meist lesen wir ein halbes Jahr später eine Studie, die genau das Gegenteil behauptet.

INTERVIEW: JÖRN KABISCH