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Das andere Schauen auf die Welt

WELTSICHT Eine Ente sucht unter Wasser gründelnd den Horizont ab, ein Megaphon räuspert sich und ein Jägerstand schwankt und wankt. Via Lewandowskys Ausstellung „Hokuspokus“ in der Kieler Kunsthalle ist schlicht grandios

Wie das gefällte Licht der Aufklärung: Bogenlampe lang ausgestreckt auf dem Boden und drumherum ein gesicherter Tatort   Foto: Helmut Kunde, Via Lewandowsky „Hokuspokus“, VG Bild-Kunst, Bonn 2015

von Frank Keil

Via Lewandowsky hat nur ein Auge. Das andere hat er als Kind verloren. Das ist jetzt keine Indiskretion, das steht so offen in seiner Vita auf seiner Homepage. Und zwar in Gestalt eines Vierzeilers des mit ihm befreundeten Lyrikers Durs Grünbein: „1963 in Dresden geboren,/ mit drei Jahren ein Auge verloren,/ seither den Künsten verschworen./ Ergo: Niemand entkommt ungeschoren.“

Steht man ihm gegenüber und schaut ihm zu, wie er seine Werke nun nicht Wort für Wort erklärt, aber doch den einen und anderen Hinweis gibt, wie sie verstanden werden könnten, fragt man sich unwillkürlich: Welches Auge ist nun das ihm eigene? Und welches ist das verloren gegangene? Und ist vielleicht dieser Verlust und das damit einhergehende andere Schauen auf die Welt die Grundlage für Lewandowskys immer leicht versetzten, schrägen und ganz eigenen Blick auf die Welt, die seine Skulpturen und Installationen wiedergeben? Oder ist das jetzt zu viel der Interpretation und möglicherweise gänzlich unzulässig, weil viel zu einfach gedacht?

Unbestritten ist, dass Via Lewandowsky derzeit mit „Hokuspokus“ in der Kunsthalle Kiel eine schlicht grandiose Ausstellung abgeliefert hat. Eine Werkschau einerseits, die wichtige Arbeiten der letzten Jahre versammelt. Dazu Werke, die es in Form von Gedanken, Plänen und auch skizzierten Entwürfen etwa für Wettbewerbe schon lange gibt und die er nun endlich einmal realisiert hat: sein flackernder Leuchtschriftzug „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ etwa, ein Entwurf zur Gestaltung eines Offizierskasinos eines Marinestandortes nahe Stralsund, den die dortigen Offiziere aber gar nicht lustig fanden und daher nicht realisieren wollten. Plus Arbeiten, die er eigens für Kiel entworfen und eben dort vor Ort umgesetzt hat. Seinen Jägerstand „Oh Eiche“ etwa, der im zweiten, großen Raum steht und dort bis fast hoch zur Decke ragt.

Dieser Jägerstand steht aber nicht stramm. Der schwankt vielmehr. Und schwankt. Hört nicht auf zu wackeln. So dass von dort oben alles andere als ein zielsicherer Schuss gelingen dürfte, wenn man es überhaupt geschafft hat, hinaufzuklettern. Ein Werk auch, in dem auf eigene Weise Lewandowskys Lebensgeschichte als langjähriger DDR-Bürger zumindest durchschimmert. „Die ersten Grenzwachtürme sahen so aus, bevor sie Betonwachtürme wurden – und ähnliche Stände werden wir wohl auch in Syrien finden können“, sagt Lewandowsky. „Ein schweres Gebilde zum Wanken zu bringen, war mir ein großes Anliegen.“

Immer wieder gerät die Welt so und ähnlich aus den Fugen: Eine Ente taucht ab und sucht unter Wasser den Bedeutungs- und den Verstehenshorizont ab. Bei „Schon wieder hat Vati den Faden verloren“ hat der Heimwerker sich in den Windungen des Materials wie in den Verknotungen des Alltags verheddert. „Wir kennen die Gegenstände, aber sie sind ver-rückt, sie führen ein Eigenleben“, sagt Lewandowsky. „Für mich sind die Arbeiten immer auch Zeugnisse eines Menschen, einer Spur, einer Geschichte.“

Dazu gibt es eine durchaus solide thematische Klammer. „Das Thema ist, an was wir eigentlich glauben und was uns glauben macht“, sagt Lewandowsky. Dabei ist das angeblich helle Licht der Aufklärung derzeit erloschen und liegt gefällt in Gestalt einer Bogenlampe lang ausgestreckt auf dem Boden, drumherum ist ein Zelt aufgebaut, so wie man einen Tatort absichert, um herauszufinden, was passiert ist. Was ist passiert? Und gibt es womöglich einen Täter? Oder Zeugen?

Vordergründig klassisch im Sinne einer Religionskritik ist seine Radioarbeit „Darum hört das Wort aus der transzendentalen Wüste, ihr Spötter“. Aus einem althergebrachten Philips-Kofferradio sickern einzelne Sätze hervor, während ein an der Antenne angebrachter Rosenkranz mit Kruzifix so heiter wie manisch hin- und herschwingt.

Es ist eine Reminiszenz an die alte Art des Glaubens durch das Wort, an das Raunen und Weiterflüstern von Psalmen und Gebetsfetzen im Gottesdienst. So wie man einst des Nachts und damit während der Dunkelheit im Radio merkwürdig verzerrte Stimmen und damit Botschaften aus fernen Welten einfing, Geisterstimmen auch, was heute im durchprogrammierten, digitalen Zeitalter nicht mehr so ohne weiteres möglich ist. Weshalb das Mysteriöse, das Unheimliche, das Unbestimmte, das aufgeladen werden will und ohne den es den Glauben an was auch immer nun mal nicht gibt, sich neue Erscheinungsformen suchen muss.

Sehr komisch ist Lewandowskys Arbeit „Ranula“, was lateinisch ist und „Fröschlein“ heißt. Da liegt ein Megaphon auf einem Kunstmuseumssockel und wird nicht mehr gebraucht. Niemand ist da, der es nimmt, der es sich umhängt, der so nach draußen eilt und durch es hindurch ruft: „Hier spricht die Polizei! Bitte räumen Sie die Straße!“ Oder auch im Gegenteil fordert: „Wir fordern die Polizei auf, sofort die Straße freizugeben!“ Stattdessen Stille beziehungsweise der gezielte Lärm anderer akustischer Lewandowsky-Objekte, die sich im dritten Raum zusammengefunden haben.

Das Megaphon räuspert sich jedenfalls schon mal

„Das, was es mal werden sollte, ist es nicht geworden, aber es ist auch schön“

Via Lewandowsyk

Doch gleich wird das Megaphon etwas sagen! Gleich! Oder zumindest – vielleicht. Es räuspert sich jedenfalls schon mal. Räuspert sich laut und vernehmlich. Verstummt. Räuspert sich wieder. Man weiß ja nicht, wann es wieder losgeht.

Und nicht zuletzt geht es dem Künstler auch immer wieder um das Kunstmuseum als Hoffnungs- und damit als Glaubensort; um den Kunstraum als heutige Kathedrale, in der der mittelschichtsgefestigte Bürger angesichts all des alltäglichen Durcheinanders inständig eine essentielle Antwort oder wenigstens eine dazugehörige Frage zu finden hofft. Inklusive all der Überhöhung, die dem heutigen Kunstbetrieb nun mal immanent ist.

Okay, kein neuer Gedanke, mag sein. Aber wie Lewandowsky das Bekannte immer gleich mit einbaut und abserviert und im nächsten Schritt damit arbeitet, das ist schlicht gut und große Klasse. Und er stellt einen Sockel auf einen Sockel und diesen Sockel auf einen Sockel – und dass es so weitergeht, Sockel für Sockel, das muss er jetzt nicht mehr weiter ausführen, das denkt man sich sogleich und weiß es also.

Berührend die Arbeit, die sowohl den Künstler als auch einen seiner wichtigsten Mitarbeiter vorstellt: Via Lewandowskys Vater, der in diesem Frühjahr verstorben ist. Der hat ihm geholfen, seine Rauminstallationen zu realisieren und aufzubauen und der hat für ihn immer wieder serielle Laubsäge- und Bastelarbeiten gefertigt: Tausende Holzherzen oder zuletzt eine Serie frommer Selbstmordattentäter in Form kleiner Weihnachtsfiguren, die man sich in den Weihnachtsbaum hängen könnte.

Nun hat er ihm die Installation „Werkbank“ gewidmet, die zunächst eine Werkbank zeigt. Eine Werkbank, wie sie auszusehen hat: aufgeräumt und unordentlich zugleich, so wie sein Vater immer eine Werkbank hatte, an der er Tag für Tag verbrachte. „Er hat mich jahrelang begleitet, hat mir immer geholfen, auch wenn er nie ganz verstanden hat, was ich da eigentlich mache“, sagt Lewandowsky. Ein Bastler, ein Tüftler, auf seine Weise auch ein Ingenieur: „Er hat zum Beispiel Untersetzer mit der Laubsäge ausgesägt, Weinglasuntersetzer in Form eines Weinlaubes, die Form war so durchbrochen, dass die Funktion völlig Quatsch war, aber es sah einfach gut aus“, sagt Lewandowsky. „Ich sehe das so: Hier hat einer angefangen und hat sich unterwegs verlaufen. Und das, was es mal werden sollte, ist es nicht geworden, aber es ist auch schön.“

Ausstellung „Hokuspokus“: bis 31. Januar, Kunsthalle Kiel, Düsternbrooker Weg 1, Kiel

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