"Ästhetisches Buch"

LESARTEN Der Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi über seine poetische, „konservativ-moderne“ Koran-Übersetzung

Ahmad Milad Karimi

Foto: privat

36, Philosoph, Islamwissenschaftler, Übersetzer und Autor, floh mit 13 aus Afghanistan. Heute ist er Professor für islamische Philosophie und Mystik in Münster.

taz: Herr Karimi, warum brauchte die Welt eine neue Koranübersetzung – ihre?

Ahmad Milad Karimi: Weil keine der bisherigen Übersetzungen das trifft, was ich im Koran sehe. Dieses Buch ist nicht einfach ein Informationstext, sondern es geht um die Frage: Was steht wie im Koran? Dieses Wie ist nie wirklich beachtet worden; die gängigen Übersetzungen, die eine Art „Finanzamt-Deutsch“ benutzen, sind zum Gähnen. Sie erfassen nicht die Musikalität dieses Buches, das für mich ein echtes sprachliches Ereignis ist.

Inwiefern?

Der Koran hat Klang, Rhythmus, Atempausen. Er ist brüchig, wiederholt sich, führt Gedanken nicht zu Ende. Einmal wird der Protagonist nicht erwähnt, ein anderes Mal ist das Subjekt unklar. Damit haben Sie einen reizvollen Text vor sich, dessen Verständnis tiefgründiges Wissen erfordert. Insofern ist der Koran eigentlich nicht für Laien gedacht, sondern, wie er selbst öfter erwähnt, für diejenigen, die ihn intellektuell verstehen.

Bietet Ihre Übersetzung entsprechende Erklärungen?

Nein, denn ich will es den Lesern nicht zu leicht zu machen. Ich will den ursprünglichen Charakter des Koran so vermitteln, dass Sie das Buch kaufen mit dem Gedanken: Jetzt lese ich den Koran in einer schönen Übersetzung und schaue mal, was drinsteht. Bei der Lektüre merken Sie, dass sie nichts verstehen und ärgern sich. Genau das wollte ich: dass Sie sich ärgern, weil Ihre Erwartungen nicht bedient werden. Nur so erkennen Sie: Den Koran kann ich nicht einfach so verstehen. Diese unmittelbare Begegnung haben die meisten Muslime mit dem Koran. Sie rezitieren ihn, sind bewegt – aber das ist kein wissenschaftlicher Zugang, sondern ein ästhetischer.

Wie Ihre Übersetzung.

Ja. Es geht mir um Schönheit. Betonung, Klangfarbe, Wortfolge – das sind wichtige Komponenten. Wenn ein Mann zu einer Frau sagt: „Ich liebe dich“ ist das langweilig. Wenn er aber sagt: „Dich liebe ich“, wirkt es viel stärker. Mit diesem Effekt spielt auch der Koran. Es macht einen Unterschied, ob da steht: „Wir haben herabgesandt vom Himmel – Atempause – „das Wasser“. Oder ob es heißt: „Wir haben das Wasser vom Himmel herabgesandt.“

Haben Sie besonders textgetreu übersetzt?

Ja. Ich habe mir sogar erlaubt, den arabischen Duktus im Deutschen nachzuahmen. Im Arabischen werden die Adjektive oft nachgestellt. In gängigen Übersetzungen steht oft: „Leite uns auf dem geraden Weg“. Auf Arabisch heißt es aber: „Leite uns auf dem Weg – dem geraden.“ Das ist ein Unterschied. Man weiß nicht, was für ein Weg das ist, und nach der Atempause kommt die Erlösung.

Ist Ihre Übersetzung konservativ oder liberal?

Ich würde sagen, konservativ-modern.

Jetzt sind Sie ausgewichen.

Ich bin kein liberaler Muslim, konservativ bin ich auch nicht. Es gibt einen Weg dazwischen. Man kann heute postmoderne Philosophie betreiben, aber ein gläubiger Mensch sein. Ich halte Vorlesungen über Aufklärung, bete aber auch fünfmal am Tag. Meine Freunde fragen, wie bringst du das zusammen? Aber ich glaube, gerade dieser Widerspruch macht religiöses Leben aus.

„Genau das wollte ich: dass Sie sich ärgern, weil Ihre Erwartungen nicht bedient werden. Nur so erkennen Sie: Den Koran kann ich nicht einfach so verstehen“

Wie übersetzen Sie den Satz „Tötet die Ungläubigen“?

Wortgetreu: „Töte diejenigen, die neben Gott ein Anderes stellen.“ Viele Übersetzer schreiben so etwas wie „töte die Ungläubigen“. Aber der Koran verwendet das Wort „ungläubig“ nicht.

Wie ist der Satz gemeint?

Der Vers bezieht sich auf die Mekkaner, Gegner Mohammeds im Jahr 624, die die junge islamische Gemeinde bedrohten. Der Satz ist also ein sehr situationsgebundenes Verteidigungsgebot. Die Mekkaner gibt es nicht mehr. Daher ist dieser Satz für mich nicht auf heute übertragbar. INTERVIEW:PS

Philosophisches Café mit Ahmad Milad Karimi und Reinhard Kahl: Di, 20. 10, 19 Uhr, Literaturhaus Hamburg