Auf der kleinen, geraden Strecke vom Tresen des „Franken“ bis zur Bühne des SO36 ist die Welt noch in Ordnung: Grummeln an der Gästeliste-Schlange
Ausgehen und Rumstehen
von Juri Sternburg
Das Kreuzberger SO36 hat ja schon so einige legendäre Konzerte erlebt, manche freiwillig, andere eher nicht. Bei einigen hatte ich selbst das Vergnügen, zugegen zu sein. So zum Beispiel Ende der 90er Jahre, als die bis dato noch unbekannte Band „Freundeskreis“, lange vor ihrem Bushaltestellen-Hit „A-N-N-A“ in dem schlauchartigen Saal in der Oranienstraße performte. HipHopper aus Stuttgart im Herzen Kreuzbergs? Das gefiel nicht jedem, und dementsprechend dauerte es circa eine halbe Stunde, bis eine bekannte Jugendgang die Bühne stürmte und verkündete, dass sie von jetzt an das Programm übernehmen würden. Als man sie endlich von der Bühne hatte und Max Herre wieder säuseln durfte, machten sich die ungebetenen Gäste eben über den Tourbus her.
Wenig später dann, als das SO36 mal wieder Probleme mit dem schnöden Mammon hatte, beschlossen „Die Ärzte“, drei Konzerte an einem Abend zu spielen, um die Erlöse dem Laden zukommen zu lassen. Es gab drei Tickets für die jeweils zwei Stunden dauernde Show, und wer das Glück hatte, Karten für die letzte Veranstaltung zu ergattern, der erlebte eine vollkommen ausgepowerte Band, die sich so sehr in Blödeleien erging, dass es eine wahre Freude war. Und egal, ob klagende Anwohner, fehlende Lärmschutzwände oder fehlendes Geld, das SO gibt es immer noch.
Und uns gibt es auch noch. Wieder einmal stehen wir vor dem Club und warten. Oder besser gesagt: stehen wir auf der anderen Straßenseite in einer der letzten Kneipen, die noch so aussieht, wie sich Berlin-Besucher eine Kreuzberger Kneipe vorstellen. Um uns herum das übliche Bild: Angetrunkene Touristen torkeln laut lachend durch die Oranienstraße, vor dem „Franken“ sitzen diejenigen, die immer noch „Punks not dead“ rufen, und begutachen die andere Partei missmutig.
Plötzlich treffen die Welten aufeinander, ein italienisch anmutender Schönling mit glänzend roter Daunenjacke fragt die Tresenkraft, ob sie eventuell WLAN für sein Telefon hat. Bevor die voll tätowierte Dame über den Tresen springt und den Smartphone-Besitzer kopfüber in ihren Wischeimer steckt, geleiten wir ihn höflich nach draußen. Wird eh Zeit rüberzugehen. Wir stehen auf der Gästeliste eines Konzerts; selbstverständlich gibt es dafür keine eigene Schlange, doch bereits vor uns wird gegrummelt. Offensichtlich muss man trotz der elitären Liste noch etwas spenden. Potzblitz! Vor mir weigert sich jemand. Er besteht darauf, eingeladen worden zu sein, offensichtlich ist er irgendwie wichtig. Für wen, wird nicht ganz klar. Hier lassen wir den Dingen ihren Lauf und warnen ihn lieber nicht vor – könnte schließlich amüsant werden.
Es kommt, wie es kommen muss: Ein Türsteher, so breit wie hoch, lässt sich auch von dem Meinungswandel des Sakkoträgers nicht beeindrucken. „Pech gehabt“, sagt er und schmeißt ihn raus. Am Tresen gibt es 0,5-Liter-Bierflaschen. Meine Begleitung ist verwundert – so große Flaschen und dann noch aus Glas, wo gibt’s denn so was? Gibt es denn keine Plastikbecher, was, wenn jemand auf die Idee kommt, die Flasche zu werfen? „Dann sollte die Band besser gut sein, dann kommt auch niemand auf die Idee“, erklärt der Barkeeper. Hier ist die Welt noch in Ordnung auf dieser kleinen, geraden Strecke, die vom Tresen des „Franken“, über die Straße in das SO36 und direkt bis zur Bühne führt. Sollte man die Route verlassen, muss man sich mit allerlei Widrigkeiten beschäftigen, so viel ist klar. Endlich geht es los. „Zugezogen Maskulin“, an dieser Stelle schon oft genug gelobt, werden erwartungsgemäß nicht mit Flaschen beworfen. Harmonie kann so einfach sein.
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