Koalition in der Krise

Die Regierung zeigt sich in der Flüchtlingspolitik ­regierungsunfähig. Schläger prügeln auf Asylbewerber ein

Einige zu klärende offene Punkte

Koalition Das Ultimatum von Horst Seehofer verpufft: Kanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und der bayerische Ministerpräsident finden in der Asylpolitik keine gemeinsame Sprache. Doch die Union rückt nun gegen die SPD zusammen

Bild aus besseren Tagen, lange vor dem Asylstreit: Gabriel, Merkel und Seehofer unterzeichnen 2013 den Koalitionsvertrag Foto: Hannibal Hanschke/dpa

Aus Berlin Anja Maier

Am späten Sonntagvormittag wurde die Runde erst einmal kleiner. Nach etwas mehr als zwei Stunden verließ Vizekanzler Sigmar Gabriel das lang erwartete Spitzengespräch im Kanzleramt. Kommentarlos. Keine halbe Stunde darauf wurde bekannt: Kanzlerin Angela Merkel, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel hatten sich nicht geeinigt. Das Treffen war ergebnislos beendet worden. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte lapidar mit, es gebe „eine Vielzahl von inhaltlichen Gemeinsamkeiten und einige noch zu klärende beziehungsweise offene Punkte“. Am Donnerstag wolle man die Gespräche fortsetzen.

Dabei soll die Stimmung gar nicht einmal so schlecht gewesen sein, wie es nach den verbalen Rangeleien der letzten Woche zu erwarten gewesen wäre. In relativ entspannter Atmosphäre sei das Gespräch der Koalitionsspitzen im Kanzleramt zur Flüchtlingspolitik verlaufen, auch zwischen CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer.

Horst Seehofers Ultimatum, von der Spitzenrunde müsse ein starkes Signal ausgehen, wie Deutschland sofort die Flüchtlingszahlen begrenzen werde, ist damit vorerst ins Leere gelaufen. Seehofer hatte verlangt, die Bundesregierung müsse an der deutschen Grenze sogenannte Transitzonen einrichten. „Wer aus dem Balkan kommt, aus sicheren Herkunftsstaaten, kommt in die Transitzone – in ein, zwei Tagen wird das geprüft – und dann zurück“, hatte Seehofer dieses Konzept umrissen. Die SPD lehnt das vehement ab. Zuletzt sprach Vizeparteichef Torsten Schäfer-Gümbel von unmenschlichen und auch völlig unnötigen „umzäunten und bewachten Haftanstalten“.Um nicht als Komplettverweigerer dazustehen, hatten die Sozialdemokraten am Samstag einen Gegenvorschlag unterbreitet. Danach soll es in allen Bundesländern sogenannte Einreisezentren geben, in denen sich jeder Asylsuchende zwingend registrieren lassen muss. Die Idee dahinter: Wer sich nicht in einem Zentrum anmeldet, bekommt gar keine oder weniger Leistungen. Und: Im Fall einer Weigerung würden die Chancen eklatant sinken, überhaupt Asyl zu bekommen. In den Einreisezentren müssten die Asylsuchenden die Erstentscheidung abwarten. Nur wer die Zustimmung zu einem Asylverfahren hat, würde in die Kommunen weitergeleitet werden.

Im Grunde ist der SPD-Vorschlag gar nicht so weit von Seehofers „Transitzentren“ entfernt. Bayern könnte auf diese Weise sogar entlastet werden, weil die Flüchtlinge auch auf die anderen Bundesländer verteilt würden. Aber einen SPD-Vorschlag zu akzeptieren scheint unter der Würde des CSU-Ministerpräsidenten zu sein.

Der SPD-Vorschlag ist gar nicht so weit von Seehofers „Transitzentren“ entfernt

Sosehr dem Gipfel bei flüchtigem Blick der Anschein des Scheitern anhaftet – tatsächlich erzielten Seehofer und Merkel einen bemerkenswerten Kompromiss, als Gabriel schon gegangen war. Dafür stießen CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und CDU-Fraktionschef Volker Kauder zu der Runde. Sie verständigten sich auf die Einführung der von der CSU gewünschten Transitzonen. Eine solche Entscheidung sei die vordringlichste Maßnahme zur besseren Kontrolle der Grenzen, hieß es am Sonntagabend in einem gemeinsamen Positionspapier der Unionsspitzen. Zudem verlangte die Union, den Familiennachzug zu begrenzen.

Mit dieser neuen Einigkeit spielen Merkel und Seehofer nun gemeinsam den Ball Gabriel zu, der mit seiner Verweigerung einer solchen vermeintlichen Lösung als Verhinderer einer vernünftigen Regelung zur Einwanderungskontrolle hingestellt werden könnte.

So gesehen ist der Gipfel also gar nicht gescheitert. Er hat vielmehr die Fronten verändert. Nicht die CSU, sondern die SPD ist isoliert.

Die Situation in der Union verlangt tatsächlich nach Aktion. Am Dienstag trifft sich die Unionsfraktion zu ihrer Sitzung. Dem Vernehmen nach wächst unter den Abgeordneten der Unmut. In den Wahlkreisen machen die Kommunalpolitiker Druck, auch in den Wählerumfragen sinken die Werte der CDU tiefer und tiefer.

Angekommen: Die Polizei rechnet mit einer weiterhin hohen Zahl von Flüchtlingen, die nach Bayern einreisen. Bis zum Sonntagabend erwarten die Beamten im Raum Passau etwa 4.500 Menschen. An den oberbayerischen Übergängen kamen am Samstag etwa 2.700 Flüchtlinge an. Wegen der vielen Flüchtlinge wurde der Zugverkehr nach Rosenheim gestoppt.

Geregelt: Deutschland und Österreich hatten den Zustrom der Flüchtlinge an der Grenze neu geregelt. Sie hatten sich darauf geeinigt, ausschließlich an fünf Grenzübergängen in Bayern sogenannte Übergabe- und Kon­troll­stellen einzurichten. (dpa)

Erst für den Donnerstag ist im Kanzleramt ein weiteres Treffen der Koalitionsspitzen mit den Ministerpräsidenten der Länder anberaumt. Einer von ihnen heißt Horst Seehofer. Und ebender will in zweieinhalb Wochen von seiner CSU erneut zum Vorsitzenden gewählt werden.

Seehofers Zorn richtete sich schon zuvor vor allem gegen den Koalitionspartner im Bund, die SPD. Deren Vorsitzender hatte sich Ende letzter Woche dazu verstiegen, die Regierungsfähigkeit im Bund infrage zu stellen. Die gegenseitigen Beschimpfungen und Erpressungen zwischen CDU und CSU seien „unwürdig und schlicht verantwortungslos“, hatte der selbst nicht eben als feinfühlig argumentierende Vizekanzler Gabriel gesagt.

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