DIE LÄNDER HABEN AUF DIE PISA-STUDIE VÖLLIG FALSCH REAGIERT
: Das Prinzip Auslese

Irgendetwas müssen die deutschen Kultusminister falsch verstanden haben. Da zitterte das Land vor einigen Jahren unter dem „Pisa-Schock“, allenthalben wurde das schlechte Leistungsniveau der deutschen Schüler beklagt. Doch statt den Empfehlungen der Bildungsforscher zu folgen und Ganztages- wie Gesamtschulen auszubauen, setzten die Bundesländer ganz auf die alte Politik. Statt eine Wende zum Besseren einzuleiten, verordneten sie einfach mehr vom Falschen. Sie verschärften die Auslese beim Zugang zum Gymnasium – und erhalten jetzt die Quittung: Zwar haben sich die Leistungen der Gymnasiasten verbessert, doch der Zugang zu den Weihen der höheren Bildung bleibt mehr denn je den Sprösslingen aus Akademikerfamilien vorbehalten.

Diese Ergebnisse sind ein dramatisches Signal an die Unterhändler der Berliner Koalitionsverhandlungen. Union und SPD sind dort gerade im Begriff, das deutsche Bildungsdesaster zu zementieren. Noch im Vorjahr war die Föderalismusreform, die jetzt als vordringliches Projekt der großen Koalition gehandelt wird, am Streit über die Bildungspolitik gescheitert. Damals beharrte die SPD, die in Berlin die Bildungsministerin stellte, auf der Bundeskompetenz für diesen Bereich. Jetzt, wo das Ressort von der Unionsfrau Annette Schavan verwaltet werden soll, schien das Ergebnis fast schon absehbar: Die Union will, dass den Ländern in Schulfragen niemand hineinreden kann – und die SPD wird sich kaum für den Machtzuwachs eines CDU-Ressorts verkämpfen.

Für die Sache selbst aber wäre ein solches Kalkül die reine Katastrophe. Es war die Bundesregierung, die in den vergangenen Jahren als Einzige die richtigen Konsequenzen aus dem Pisa-Debakel zog – und ein Programm für Ganztagsschulen und damit für mehr Chancengleichheit auflegte. Erst nach zähen Verhandlungen erklärten sich die Länder bereit, den Geldsegen überhaupt anzunehmen. Die Schlussfolgerung aus diesen Erfahrungen kann nur lauten: Nehmt den deutschen Bundesländern ihr liebstes Spielzeug, die Hoheit über das Schulwesen, endlich weg. Damit sie nicht noch mehr Schaden anrichten können.

RALPH BOLLMANN