Balkanroute

Nach dem EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise bleiben viele Fragen offen. Athen fühlt sich zu Unrecht kritisiert und laviert herum

Beschlüsse voller Lücken

EU-Gipfel Mit Ach und Krach haben sich Deutschland und die Balkanländer auf einen 17-Punkte-Plan geeinigt. Doch die Flüchtlingskrise wird sich so nicht lösen lassen. Nun drohen Sammelabschiebungen

Weiter westwärts: Flüchtlinge in Slowenien in der Nähe des Grenzübergangs Rigonce Foto: Darko Bandic/ap

Aus Brüssel Eric Bonse

Der Balkangipfel hat nicht die erhoffte Entspannung in der europäischen Flüchtlingskrise gebracht. Und das, obwohl sich die 13 Teilnehmerstaaten am frühen Montagmorgen in Brüssel auf einen 17-Punkte-Plan einigten. Das von Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Kanzlerin Angela Merkel vorbereitete Papier sieht ein Ende des „Durchwinkens“ von Flüchtlingen, eine bessere Abstimmung zwischen den Behörden sowie die Schaffung von 100.000 Aufnahmeplätzen entlang der Balkanroute vor.

Das erklärte Ziel ist es, Flüchtlinge von der Weiterreise in ein anderes Land abzuschrecken (zu „entmutigen“) und den „Strom“ in Richtung Deutschland zu „verlangsamen“. Nur so lasse sich die Lage unter Kontrolle bringen und eine humanitäre Katastrophe vermeiden, warnte Juncker.

Doch kaum dass die „Partner“ den Verhandlungstisch verlassen hatten, brachen die alten Konflikte wieder auf. So warfen sich Kroatien und Slowenien gegenseitig vor, die Absprachen nicht einzuhalten. „Wir haben hier völliges Chaos“, sagt eine Helferin im Grenzgebiet zwischen den Ländern.

Um die Krise zu meistern, forderte Kroatien Hilfe vom EU-Zivilschutz an. Die Regierung habe Winterzelte, Betten, Decken, Matratzen und sanitäre Einrichtungen angefordert, teilte die EU-Kommission mit.

Gleichzeitig ging Athen wieder auf Distanz zu den Beschlüssen. „Ein Monster-Lager für 50.000 Menschen wird es nicht geben“, sagte der für Migration zuständige Vizeminister Ioannis Mouzalas dem griechischen Nachrichtensender Vima FM am Montag. 20.000 Menschen sollten in Wohnungen untergebracht werden.

Dabei hatte sich Athen am Sonntag nach massivem Druck verpflichtet, seine Aufnahmekapazitäten bis zum Jahresende auf 30 000 Flüchtlinge zu erhöhen. Bis Ende 2016 sollen es 50.000 sein. Weitere 50.000 Menschen sollen in anderen Balkanländern unterkommen.

Doch wo und wie? Dazu schwiegen sich Juncker und Merkel aus. Sie fanden nicht einmal einen Namen für die Einrichtungen, in denen die Flüchtlinge empfangen werden sollen. Bisher war von „Hotspots“ die Rede – plötzlich taucht dieses Wort nicht mehr auf.

Merkel sprach von „Warte- und Ruhezonen“, in denen sich die Menschen von den Strapazen der Flucht erholen sollten. Juncker betonte dagegen die Pflicht der Flüchtlinge, sich registrieren zu lassen. „Keine Registrierung, keine Rechte“, so sein Motto – die Abschiebung soll auf dem Fuße folgen.

Allerdings ist völlig unklar, wer die Abschiebung in die Herkunftsländer organisieren soll. Solange nicht feststeht, wo die neuen „Wartezonen“ entstehen sollen, fühlt sich auch kein Balkanland zuständig.

Wenn es zu Abschiebungen kommt, dürften in den neuen Aufnahmezentren schnell Unruhe ausbrechen. Dann werden die Auffang­lager oder „Wohnungen“ wohl bewacht und umzäunt werden müssen, fürchten Menschenrechtsexperten – genau wie die „Transitzonen“, die Merkel an der deutsch-österreichischen Grenze erwägt.

Dass die Beschlüsse lückenhaft sind und viele Sollbruchstellen aufweisen, ist wohl auch Merkel bewusst. Die Vereinbarungen könnten nur ein „Baustein“ für eine Lösung sein, sagte sie, weitere müssten folgen. Zudem fehle eine Gesamtstrategie für die Flüchtlingskrise. Diese könne aber nur mit der Türkei gefunden werden.

Wenn das nicht gelingt? Dann könne die EU zerbrechen, warnt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Kurz danach kamen wieder Krisenmeldungen vom Balkan.