Muppet Show mit tollen Stimmen

verwitzt Verdis Oper „Rigoletto“ feiert berauschend schön gesungen, aber in einer harm- und belanglosen Inszenierung im Theater am Goetheplatz Premiere

Hyojong Kim ist ein sensationeller Herzog  Foto: Landsberg/Theater Bremen

von Benno Schirrmeister

Erfolge im Theater sind gefährlich. Gerade auch in der Oper: Es kann passieren, dass zurecht bejubelte musikalische Brillanz szenisch-konzeptionelle Dürftigkeit verdeckt. Zumal, wenn eine Aufführung einhelligen Applaus auf sich zieht, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass hier gesellschaftlich Relevantes nicht verhandelt wird: Dabei wäre diese gesellschaftliche Bedeutung doch die wichtigste Legitimation für ein ordentlich subventioniertes Opernhaus. Und wenn man, wie Bremen, seit drei Jahren keine Uraufführung mehr programmiert hat, und auch anderes Zeitgenössisches vermeidet, als wäre es etwas Anstößiges, müssen das die Neuinterpretationen der großen Klassiker leisten.

Giuseppe Verdis „Rigoletto“ ist einer der größten Opernklassiker überhaupt. Und groß, ja überwältigend war der Premierenbeifall am Goetheplatz. Rein musikalisch war der verdient. Schon die – abgesehen von den Klarinetten – unter Clemens Heils Dirigat in Hochform aufspielenden Philharmoniker sorgten für einen wunderbaren Abend. In der Titelpartie überzeugte Claudio Otelli. Höchstens Ohrenkranke kommen nicht ins Schwärmen, wenn sie Marysol Schalit als Gilda hören. Und Tenor Hyojong Kim, der ist als Herzog von Mantua eine kleine Sensation.

Er singt sogar das längst zum Fertigpizza- und Schoko-Crossies-Werbesong abgenudelte La donna è mobile mit einer beiläufigen Arroganz und Frische, als wäre es das erste Mal. Ja, dieses Volumen und diese Leichtigkeit könnten dem schneidenden Zynismus dieser Arie wirklich schmerzhafte Präsenz geben: Denn natürlich ist es ja ein bewusst gesetzter Zynismus, dass der pausenlos durch die Gegend fickende Herzog von Mantua mit dieser fidelen Canzone beklagt, dass „die Frau“ flatterhaft und verlogen ist.

Das nötige gesangliche Potenzial stünde Regisseur Michael Talke also zur Verfügung, um hier Bedeutung für und in der Gegenwart herzustellen. Dafür bedürfte es aber eines Regie-Ansatzes, der den Ernst der Story aufnimmt. Denn den gibt es, auch wenn sie heute vor allem als grotesk empfunden wird: Als der terroristische Hofnarr Rigoletto feststellt, so in aller Kürze der Inhalt, dass er seinem Herrn, dem Herzog geholfen hat, seine Tochter Gilda zwecks Vergewaltigung zu entführen, versucht er sich durch Tyrannenmord zu rächen. Stattdessen ersticht Rigoletto aber, ohne es zu ahnen, seine in einem Sack verborgene Tochter. Autsch.

Das als Vorlage dienende Drama „Le Roi s‘amuse“ war wegen seiner Königslästerung seit der Uraufführung 1831 verboten – die revolutionäre Situation im Italien um 1850 fast noch wilder als die in Frankreich: Insofern war das Stück extrem heißer Stoff. Bereits sich für ihn zu entscheiden, war ein leicht lesbares politisches Statement. Davon aber will Talke nichts wissen. Man könne das Stück gar nicht mehr als Kritik begreifen, behauptet er nassforsch – und wählt den Weg des geringsten Widerstands. Der heißt: Spaß machen.

„Das affektiv wirkungsvolle Gewaltbild stellt Gewissheiten in Frage“

Benjamin Moldenhauer, Diskurspate

Dafür travestiert er die Figuren in Gestalten des längst zur eigenen Parodie geronnenen Horror- und Monsterfilms. Als direktes Zitat von Friedrich Wilhelm Murnaus Vampir-Stummfilm lässt er Nathalie Mittelbach schon vor der Ouvertüre im von Regine Standfuss perfekt nachgeahmten Nosferatu-Kostüm den Mund auf und zu klappen und die Finger spreizen. Als Mörder Sparafucile steckt Patrick Zielke in einem Muppet-Show-Monster-Outfit, einzelne Choristen, aber auch ganze Szenen sind in Anlehnung an Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ designt: All das ergibt ein zusammengeflicktes Gruselkabinett, und man meint davor dessen Inhaber mit geradezu penetrantem Augenkniepen schmunzeln zu sehen – ist ja alles nicht so ernst gemeint. Ischa Freimaak.

„Das affektiv wirkungsvolle Gewaltbild“, merkt, sehr klug, der Filmwissenschaftler Benjamin Moldenhauer als „Diskurspate“ an, „stellt Gewissheiten in Frage“. Kurioserweise formuliert damit bereits das Programmheft die herbste Kritik an der Aufführung. Denn das verwitzte Gewaltbild tut das Gegenteil. Es bestätigt Gewissheiten. Es stellt Sicherheit her.

Kaufmännisch mag das wünschenswert sein – und unproblematisch für alle, die nur im Wohlklang baden wollen. Die Oper gehört aber allen. Und dem wird sie nicht gerecht, indem sie bloß gefällt. Sondern nur, wenn sie Fragen bewegt, die alle angehen.