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Zum VerrücktwerdenAllesnicht so schlimm

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Wir sehen seit geraumer Zeit Menschen beim Verrücktwerden zu“, schrieben Georg Seeßlen und Markus Metz in ihrem Buch „Krieg der Bilder, Bilder des Kriegs“ –„Wir sehen uns selber beim Verrücktwerden zu.“ Seitdem sind einige Jahre vergangen, aber verändert hat sich eigentlich nur die Geschwindigkeit, in der das alles geschieht. Oder?

Unbeantwortet ist weiterhin: „Wann ist der Zustand erreicht?“, „Was kommt dann?“, vor allem aber: „Wie klingt eigentlich die Musik dazu?“ In etwa das geht einem durch den Kopf, wenn Bands sich vollmundig als „the soundtrack for our society’s collective nervous breakdown“ ins Spiel bringen. Den aus Brooklyn stammenden Uniform (23. 10. Hafenklang) mag man hier einerseits zustimmen. So klingen sie: laut, knarzig und nervig wie das Weltgeschehen.

Aber andererseits ist das eine allzu einfache Masche. Denn warum soll der Soundtrack von etwas denn genauso klingen wie dieses Etwas – und damit das Elend noch duplizieren? Müsste der Anspruch, der künstlerische zumal, nicht stärker ausgerichtet sein auf Provokation statt Reproduktion, auf Utopie statt Dystopie, auf Antithese statt Nervosität oder wenigstens auf guten Kuschelrock? Da es bekanntlich um die ersten zwei Formate eher schlecht bestellt ist, hilft also nur der Rückzug auf die anderen beiden. Oder?

Ein Beispiel: als leicht subversive Grenzgängerin zwischen den Genres Rap, Low-Fi-Pop und Radio-Hit kommt K.Flay daher (1. 11., Ue & G). Sie schafft es jedenfalls, ein ganzes Album lang zwischen Larmoyanz, Frust, Witz und Optimismus herumzupendeln, ohne dass ihr jemand Unentschlossenheit vorwerfen könnte. Anderes Beispiel: über Poppy Ackroyd (29. 10., Golem) können bestimmt tonnenweise klischierte Ansichten abgeworfen werden, vor allem aber bleibt über sie zu sagen, dass sie den warmweichen Popkontext mit nichts anderem als mit E-Musik betritt.

Sicher: Ein paar Beats sind zu hören, aber letztlich regiert das Piano und bricht klassische Arrangements auf geradezu zärtliche Weise auf. Man denkt an Küstenabschnitte und Nebel. Und man denkt: Es ist schon alles nicht so schlimm. Oder?

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