Düstere Zukunft

Unschön Winfried Kretschmann wird täglich schwärzer, Jauch kapituliert vor einem Rechtsradikalen und Netanjahu relativiert den Holocaust

Rassistische Stimmung für Deutschland. Anheizer Björn Höcke von der AfD Foto: dpa

Grüne Langeweile

betr.: „Mir brennt hier jeden Tag der Kittel“, taz vom 17. 10. 15

Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, hat alles erreicht, was in einer Koalition mit der real existierenden SPD zu erreichen ist. Er müsste vor der nächsten Wahl sagen, was die Grünen in einer Alleinregierung darüber hinaus gemacht hätten, soweit er sich noch an die Ziele seiner Partei erinnert, die allerdings auch schon sehr moderat sind.

Aufreger haben grüne Mandatsträger schon lange nicht mehr in die öffentliche Diskussion gebracht, zum Beispiel den Vorschlag, mit fossilen Brennstoffen betriebene Neuwagen mit einer so hohen Mehrwertsteuer zu belegen, dass alle nur noch (hoch subventionierte) Elektroautos kaufen wollen. Gerade der Landesfürst von Baden-Württemberg täte gut daran, die Zukunft seiner Autoindustrie durch den gesetzlichen Zwang zur Innovation zu sichern.

Das nur als eines von vielen Beispielen schamhaft verheimlichter grüner Zukunftsprojekte, von denen die Grünen allerdings selbst noch nichts wissen, obwohl die grünen Wähler sehr dafür wären.

ALFRED MAYER, München

Lobbysprech

betr.: „Mir brennt hier jeden Tag der Kittel“, taz vom 17. 10. 15

Ohne Kretschmann in Bausch und Bogen zu verdammen, belegt er doch selbst, wie wenig Grün bei ihm noch übrig ist, wenn er den Satz des Finanzmarktentfesslers Clinton zitiert: „It’s the economy, stupid.“ Und dann interpretiert, man könne keine Politik „gegen die Wirtschaft machen“. Das ist unreflektiertes, unanalytisches Nachplappern von Lobbysprech.

Wer ist denn „die Wirtschaft“? Alle sind Teil der Wirtschaft. Es kommt doch gerade darauf an, die Wirtschaft zu verändern und nachhaltiger und ökologischer zu machen. Das hat Kretschmann offenkundig gar nicht mehr vor. Angesprochen auf die Abgasthematik bei VW weist er es von sich, nun offensiv ökologische Forderungen an die Autoindustrie zu stellen, sondern hält es für wichtiger, „Vertrauen“ wieder herzustellen. Was soll das heißen? Und hofft, „die Branche habe gelernt“, um im selben Atemzug das „legale Tricksen“ vom Abgasbetrug à la VW zu unterscheiden und damit zu normalisieren. Nein, die Branche hat nicht gelernt. Nein, SUVs sind nicht grün.

Aber es geht ja Kretschmann nicht darum, den ökologischen Diskurs in der Gesellschaft voranzutreiben, sondern darum, „Prosperität“ zu gewährleisten und Wahlen zu gewinnen. Der Umwelt und der Umweltbewegung erweist er so einen Bärendienst, denn ohne radikale politische Forderungen geht es eben in keinem Politikfeld dauerhaft voran. Und leider gibt es keine zweite grüne Partei, die diesen Job übernehmen könnte.

Die Wirtschaft wird übrigens bei jeder Art Umweltpolitik, die Geld kostet, immer behaupten, sie richtete sich „gegen sie“ beziehungsweise gegen ihr gefühltes „Grundrecht“ auf Profit, ohne zu sehen, dass die intakte Umwelt für uns alle lebenswichtiger ist als Geld, und Umweltschmutz langfristig viel teurer wird als Umweltschutz.

Man kann also nicht Politik mit „der Wirtschaft“ beziehungsweise unseren Milliardenkonzernen machen, ohne auf ökologische Forderungen zu verzichten. Lange galt bei den Grünen, dass sie eben nicht Interessenwahrer der Starken waren, sondern Interessenvertreter der Stimmenlosen und Schwachen, also auch der Natur.

Mag sein, dass es hier und da ein paar Fortschritte gibt – aber würde es die vielleicht nicht auch mit einem reflektierten CDU-Kabinett gegeben? Und wäre der Mainstream­politiker nicht durch radikale grüne Diskursanschieber gezwungen, kleine Schritte in die richtige Richtung zu tun?

Die großen Umweltkrisen warten nicht auf machtgierige Grüne, sondern schreiten weiter voran. Und wenn der Klimawandel noch heftiger zuschlägt, wird niemand mehr die Grünen als kompetente Umweltpolitiker wählen, weil sie keine anderen Forderungen mehr stellen und keine andere Politik mehr können.

MICHAH WEISSINGER, Essen

Unterwerfung

betr.: „Pegidas Kinder“, taz vom 19. 10. 15

Die Stimme des „besorgten Bürgers“ und Originalton Pegida war am 18. Oktober in der Talkrunde bei Jauch hautnah erlebbar. Diese Diskussion bot ein Bild der unbewussten Unterwerfung! Björn Höcke (AfD) nutzte die Gunst der Stunde, sein inklusive des Talkmasters Jauch aus vier Menschen bestehendes Gegenüber an die Wand zu reden.

Talkmaster Jauch ließ sich schon in den ersten Minuten die Gesprächsführung komplett aus der Hand nehmen und gewann sie nicht mehr zurück. Keinem der Beteiligten war der Gedanke gekommen, den Redeschwall Höckes energisch einzugrenzen. Mit Schrecken war zu sehen, dass Justizminister Heiko Maas schweigend, ähnlich einem eingeschüchterten Pennäler, neben Höcke saß, weder auf tiefgehende persönliche Beleidigungen („Maas’Phraseologie ähnlich Honecker“) reagierend noch verhaltene, allgemein gehaltene Drohungen Björn Höckes („das Volk wird eine Notbremsung in Sachen Flüchtlingszuwanderung auslösen“) kommentierend, was denn letztlich gerade entschiedene Sache eines persönlich anwesenden Bundesjustizministers gewesen wäre.

Inhaltlich bot Höcke mit völkisch angehauchter, grundsätzlich nicht durch Fakten belegter Argumentation nichts Neues, anders gesagt: Er verbreitete Desinformation. So beschwor er etwa die Gefahr der Bedrohung blonder – also deutscher! – Frauen. Nachgefragt, was denn die Phrase der bedrohten blonden Frau solle, antwortete Höcke entwaffnend, er entschuldige sich, er habe natürlich auch brünette, rot- oder schwarzhaarige Frauen gemeint. (!) Die deutsche Frau, im Angstraum multikultureller Gesellschaft bereits bedroht durch „tägliche sexuelle Gewalt gegen Frauen“, die sich aber einstweilen noch in den Flüchtlingslagern austobt. Wer es aus Erfahrung besser wusste, kam nicht zu Wort (Klaus Bouillon, der saarländische Innenminister). Thüringer und Sachsen „besorgt über Zustände in Dortmund, Essen, Frankfurt und Mannheim“. Was meint Björn Höcke: Brennen hier noch nicht genug Flüchtlingsunterkünfte?

Ein anwesender Bundesjustizminister, der die Politik der Kanzlerin und der Bundesregierung mit keinem Wort verteidigt oder auch nur darlegt. Keine Entschiedenheit, kein Mut, keine Chuzpe, diesem schein­eloquenten Hetzer (!) Paroli zu bieten, der es wagt, sich sogar bei der durch eine blutige Messerattacke eines Rechten schwer verletzten Kölner Oberbürgermeisterkandidatin einzuschleimen, der „Kollegin“ (!) gute Besserung wünschend.

Diese so obskure wie bizarr-deutschlandbeflaggte Höcke-Show hätte noch im Entstehen verhindert werden können. Dazu gehört aber das, was wir brauchen, mehr denn je: Die verdrehte, nur scheinbar plausible Argumentation aufdecken, umgehend aufdecken, belegen was unrichtig, was Lüge ist. Und Mut, Entschiedenheit beweisen. Hier hätte der Eklat erlöst: Höcke entschieden unterbrechen, konfrontieren und – warum nicht –‚ rausschmeißen. Daraus können und müssen wir lernen!

THOMAS KELLER,

Frankfurt am Main

LeserInnenbriefe
:

Björn Höcke, Ultrarechter der AfD, darf im TV hetzen

Schlimm genug, dass solcher Stuss auch noch von den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern rübergebracht wird. Spätestens beim „tausendjährigen Deutschland“ hätte man da doch den Stecker ziehen müssen

Rainer B. zu: „Rechtsaußen der AfD: Führung auf Distanz zu Höcke“, taz. de vom 22. 10. 15

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