Ein Flüchtling zum Feiern

Wohngemeinschaft I Drei befreundete Studenten aus Wedding nehmen einen illegalen Flüchtling aus Mali zur Zwischenmiete bei sich auf. Sie geben ihm viele Hilfestellungen im Alltag, überwinden Sprachbarrieren und veranstalten sogar eine Soliparty, um die Miete für sein Zimmer aufzubringen. Nun müssen sie überlegen, ob er bleiben kann

„Am Anfang seiner Zeit bei uns haben wir ihn tagelang nicht duschen sehen. Viktor und ich haben ihm dann ein Bad eingelassen mit Kerzen am Rand und ihn reingesetzt. Er hat das hingenommen“

von Marie-Thérèse Harasim

In der Studenten-WG von Martin Schmidt* wird gebastelt. In seinem Zimmer faltet Freundin Hanne Markgraf bunte Servietten in schmale Streifen, sodass aus ihnen Papierblumen werden. Mit den Blumen soll die Wohnung für die anstehende WG-Party dekoriert werden. „Willst du auch mal?“, fragt Hanne Isa, der das Geschehen neugierig beobachtet. Der 20-Jährige hat sie nicht verstanden. „Du auch?“, wiederholt Hanne ihre Frage nun deutlicher und deutet auf die Papierblumen. Isa nickt nun und beginnt die Servietten zu falten.

Die Party nächste Woche wird keine gewöhnliche, wie sie die Weddinger Wohngemeinschaft schon oft gefeiert hat. Zum einen wollen die drei Bewohner Viktor Krüger, Lorenz Block und Martin ihrem Gast Isa eine Party schenken. Zum anderen ist es eine Soliparty – für Isa. Denn der ist illegal in Berlin. Als Flüchtling kam er aus Mali über Spanien nach Deutschland. Wie genau, das weiß man nicht. Isa spricht kaum darüber. Wenn doch, dann enthält seine Geschichte viele Ungereimtheiten.

Er hat erzählt, dass er seine Mutter sechs Jahre lang nicht gesehen hat. Dass seine Flucht 2013 begann, mit einem achtmonatigen Aufenthalt vor den Toren einer spanischen Exklave in Marokko, ob Melilla oder Ceuta, das weiß er nicht. Später brachte Isa drei Monate in einem spanischen Gefängnis zu, an den Namen der Stadt kann er sich nicht erinnern. Er wurde wieder freigelassen, verbrachte nun einige Zeit auf der Straße in Barcelona. Irgendwann sprach ihn eine Passantin an, die ihn regelmäßig dort gesehen hatte. Sie mache sich Sorgen um ihn, sagte sie, er sehe immer schlechter aus. Die Frau brachte ihn zum Busbahnhof und bezahlte auch das Ticket nach Deutschland.

Oft von Berlin gehört

Berlin hatte Isa schon lange im Kopf. In seinem Dorf, in Mali, hatte es einen Mann gegeben, der nach Deutschland geheiratet habe. Ab und zu kam er zurück nach Mali und erzählte, wie toll Berlin sei. Die Menschen dort seien so lieb und nett. Für Isa haben sich diese Erzählungen bestätigt: Seine Mitbewohner Martin, Viktor und Lorenz seien wirklich lieb, sagt er. Und das, obwohl er nicht mal die Miete für sein Zimmer bezahlen kann. Deshalb soll nun gefeiert werden. Die Mitbewohner hoffen auf Spenden von Freunden und Bekannten.

Als ihr vierter Mitbewohner vor einiger Zeit ankündigte, sechs Wochen für einen Sprachkurs nach Spanien zu gehen, waren sich die Studenten einig: Wir wollen einen Flüchtling aufnehmen – auf Zeit. Freunde hatten bereits einen Flüchtling in ihrer Wohngemeinschaft untergebracht, über diesen stellten sie den Kontakt zu Isa her. Martins Grund für die Entscheidung war auch, etwas Gutes für die Geflüchteten zu tun – was er im Alltag nicht schaffte. „Einem Flüchtling ein Zuhause zu geben, das schien mir eine gute Alternative“, sagt er.

Mitbewohner Lorenz war zunächst der Skeptischste der Biologie-, Linguistik- und Geografiestudenten. „Ich habe mich gefragt, ob unsere WG dafür tauglich ist“, sagt er, „wir unternehmen viel, gehen viel aus.“ Doch dann kam Isa einfach mal vorbei. Gehört hatten sie über ihn bis dahin nur, dass sein Vater eine Bäckerei mit 50 Angestellten betrieben hatte, bevor er ermordet wurde und Isa flüchtete. Gemeinsam hingen die jungen Männer in Martins Zimmer ab, jonglierten, hörten Musik. Sachen, die die Studenten, die sich schon seit der Schulzeit kennen, oft gemeinsam machen. Und Isa machte mit. „Er interessiert sich einfach für alles, sagt Lorenz. „Ich hatte sofort das Gefühl, ihm etwas zeigen zu können.“ Mit Isas Partytauglichkeit waren Lorenz’ Kriterien für ein Zusammenleben erfüllt. Der Malier konnte einziehen.

Knapp drei Wochen ist das erste Kennenlernen jetzt her. Inzwischen haben die Studenten viel mit Isa erlebt, nahmen ihn mit zu Open Airs, auf Festivals und in die angesagten Clubs der Stadt. Jeden Morgen wird gemeinsam gefrühstückt. An den Abenden sitzen sie oft zusammen in Martins Zimmer, manchmal wird Playstation gespielt. „Isa mag lieber Fußball, ich zocke lieber Basketball“, sagt Martin, er zeigt auf die Konsole. Weil Isa Probleme mit der Bedienung des Gamepads hat, muss er ihm viel erklären. „Viereck“, sagt Martin und drückt auf die eckige Taste. Die Sprache sei eine Herausforderung, meint Martin. Im Alltag würden sich die Sprachhürden bemerkbar machen. Denn Isa spricht nur wenig Deutsch, und die drei Mitbewohner weder Bambara noch Französisch. Als Linguistikstudent sei es für ihn dennoch spannend zu beobachten, wie sehr man Sprache vereinfachen kann, um zu kommunizieren, sagt Martin. Er sieht das optimistisch. Zudem besuche Isa jetzt einen Sprachkurs in Moabit, den ihm seine Mitbewohner über Freunde organisiert haben. Die Sprachhürden – für die Studenten sind sie kein Problem.

Fast wirkt er verzweifelt

Bei Isa aber zeigt sich ein anderes Bild. Manchmal, wenn er etwas erklären möchte und es ihm nicht gelingt, kneift er die Augen zu und verschränkt die Arme über dem Kopf. Er wirkt dann fast verzweifelt.

Auch kulturelle Unterschiede gebe es, sagt Martin, aber keine, die zu Konflikten führten. „Am Anfang seiner Zeit bei uns haben wir ihn tagelang nicht duschen sehen“, erzählt Martin. Viktor und er hätten ihm dann ein Bad eingelassen mit Kerzen am Rand und ihn reingesetzt. „Er hat das hingenommen“, erzählt Martin mit einem verschmitzten Lächeln.

Es dauerte auch eine Weile, bis sie feststellten, dass der malische Mitbewohner nicht wusste, wie die Waschmaschine funk­tioniert. Lorenz hatte es ihm erklärt, aber Isa hatte es wohl nicht gleich verstanden. Wie er vorher seine Sachen gewaschen hatte, fragten sie ihn nicht. Einmal seien sie mit Isa in einem Club in Wedding gewesen. „Er hat gestaunt, dass sogar dort Trinkwasser aus der Leitung kommt“, sagt Martin. Seine Beine hätten ihm wehgetan von zu viel tanzen, erinnert sich Isa zurück. Er lacht.

Ein paar Wochen später hat die Wohngemeinschaft ihre Soliparty gefeiert. 285 Euro für die Miete von Isas Zimmer und die Kosten für Bier und Essen kamen durch Spenden der Gäste zusammen. Ein paar Freunde legten Platten auf, getanzt wurde bis in die Morgenstunden. Sogar Freunde von Isa waren da.

Isas Zeit in der WG ist fast vorbei. Melancholisch ist er trotzdem nicht. Er scheint keine Angst vor der Zukunft zu haben. „Ich werde zum Oranienplatz gehen und gucken, ob ich jemanden finde, der mir hilft“, sagt Isa. „Da ist immer jemand.“ Eine Aussicht auf Veränderung seines Aufenthaltsstatus gibt es für ihn nicht. Den offiziellen Weg über die Behörden will er nicht gehen, ein Freund aus Mali wurde bereits abgeschoben.

In der WG gibt es noch ein kleines Zimmer, das sich die Bewohner eigentlich zu einem Gemeinschaftsraum einrichten wollten. Jetzt überlegen sie, ob sie Isa dort längerfristig unterbringen oder ihn in den Winter schicken – jedoch ohne Per­spek­ti­ve und Wohnung. Die Entscheidung stellt die Studenten vor eine Gewissensfrage? „Nein“, sagt Martin, „ich gehe davon aus, dass Isa fest bei uns einziehen wird.“

*Alle Namen geändert