Absurdes Hin und Her

CHAMPIONS LEAGUE Bayer Leverkusen überzeugt beim 4:4 gegen AS Rom zumindest mit seinen Offensivqualitäten. In der Bundesliga dagegen haben die Gegner effektive Strategien gegen die Werkself entwickelt

Suche nach dem Torschützen: Leverkusens Spieler nach dem 4:4  Foto: dpa

LEVERKUSEN taz | Als der Wahnsinn dieses Fußballabends zum letzten Mal hervorgeblitzt war, sank der Stürmer Chicharito theatralisch auf die Knie. Seine Handflächen legte er an seine Stirn, auf den ersten Blick sah der Mann aus wie so viele Fußballer, wenn sie gerade eine wunderbare Torgelegenheit vergeudet haben. Ganz knapp war der Schuss des Mexikaners am Tor der AS Rom vorbeigesegelt, beinahe hätte er ein absurdes Fußballspiel noch mit einem endgültig aberwitzigen Höhepunkt versehen. Aber auf seinem Gesicht waren weder Ärger noch Frust und schon gar keine Verzweiflung zu erkennen. Chicharito strahlte wie ein Mann, der einen großen Moment genießt. Auch ohne krönende Vollendung.

Ein Siegtreffer zum 5:4 für Bayer Leverkusen gegen die Römer war gar nicht nötig, diese letzte vergebene Chance bildete einen würdigen Schlusspunkt für ein spektakuläres 4:4 (2:2). Viele Leute im Stadion standen „kurz vor dem Kollaps“, resümierte Sportchef Rudi Völler und erklärte seine Mannschaft kurzerhand zu einem „kleinen moralischen Sieger“. Aber eigentlich waren an diesem Abend alle Gewinner, ganz besonders die Zuschauer.

Die Rheinländer hatten durch zwei Chicharito-Tore früh 2:0 geführt, dann lagen sie 2:4 zurück und hätten trotzdem beinahe noch gewonnen. „Das war alles andere als ein normales Fußballspiel, dafür kommt man ins Stadion, weil solche Sachen möglich sind“, sagte Roger Schmidt. Der Bayer-Trainer weiß, dass alleine das Zustandekommen des Spektakels ähnlich kostbar ist wie der Punktgewinn und die Tatsache, dass die Römer in der Tabelle auf Abstand gehalten wurden.

In Schmidts Frühphase in Leverkusen gab es öfter mal diese wilden Schlachten, nicht nur der blanke Erfolg sei wichtig, hieß es damals, sondern auch, dass es in der BayArena wieder etwas zu erleben gebe nach den grauen Jahren unter Sami Hyypiä. In der Bundesliga war die Attraktivität zuletzt aber wieder verloren gegangen. Nur acht Treffer hat das Team dort in den ersten neun Partien erzielt, während die Champions League ein Ort der Leverkusener Fußballfeuerwerke ist.

Vor diesem 4:4 gab es ja schon die beeindruckenden Heimsiege gegen Bate Borisov (4:1) und in der Playoff-Runde gegen Lazio Rom (3:0). Die oftmals biederen Bundesligapartien erklären Kritiker damit, dass die Konkurrenz Gegenstrategien zur speziellen Leverkusener Spielweise gefunden habe, die in der Champions League noch nicht jeder kennt. Schmidt hingegen sagt, „man darf nicht unterschätzen, dass wir erst am Anfang unserer Entwicklung sind“.

Aber eigentlichwaren an diesem Abend alle Gewinner

Diese sieben, acht Minuten, in denen Kevin Kampl das 3:4 (84.), Admir Mehmedi das 4:4 (86.) und Chicharito beinahe das 5:4 erzielten, „können ein ganz wichtiger Faktor sein, dass wir das Achtelfinale erreichen“, sagte Schmidt. Jenseits der Tabellenkonstellation war diese Schlussphase auch eine Kur für das zuvor etwas angekratzte Selbstvertrauen. Zwischen der 20. und der 75. Minute hatten die Leverkusener einfach schlecht gespielt und vier aufeinanderfolgende Gegentreffer zugelassen. Drei davon nach Standardsituationen. „Wir haben das zwischenzeitlich total aus der Hand gegeben, weil Rom viele zweite Bälle gewonnen hat, dabei ist das eigentlich unsere Stärke“, sagte Kampl, der einzige Leverkusener, der 90 Minuten lang richtig gut gespielt hatte.

Schmidts Spielidee geht nur auf, wenn alle mit maximaler Konsequenz mitmachen. „Glatte Siege sind auch manchmal schön, aber solche Spiele, wo man als Mannschaft eine Reaktion auf bestimmte Spielverläufe zeigen muss, tun natürlich gerade jungen Spielern sehr gut und helfen, an die Dinge zu glauben“, sagte der Trainer. Dieser Glaube ist elementar, wobei Leute, die dem Schmidt-Fußball eher skeptisch gegenüberstehen, an diesem Abend ebenfalls eine Menge Argumente für ihren Standpunkt finden konnten. Nur Spaß haben tatsächlich alle gehabt. Daniel Theweleit