Freiheit, Zug für Zug

GLUTVOLL Wenn Raucher für ihre Belange und das Überlebensrecht von Eckkneipen demonstrieren, geht es um Grundsatz-Werte

Die frühere FDP-Abgeordnete Rose Pauly sieht „den rauchenden Bürger von der Politik verfolgt“.

VON MARCO CARINI

Das Motto kommt etwas weinerlich daher: Unter dem Slogan „Wollt ihr uns alles verbieten?“, hat das „Aktionbündnis gegen das absolute Rauchverbot“ zur Demonstration geladen. Rund 50 Dom-Schausteller, die sich besonders vehement gegen nikotinfreie Festzeltzonen wehren, veranschaulichen mit ihren Zugmaschinen auf dem Weg von der Glacischaussee zum Jungfernstieg, worum es ihnen geht: Dieselschwaden vernebeln die Atemluft, ohrenbetäubendes Hupen der Fahrzeuge machen Kommunikation unmöglich – prima Biertischatmosphäre also.

Auf dem Jungfernstieg angekommen, wirkt das Häufchen der hundert Protestler etwas verloren. Da die Journalisten in der Überzahl scheinen, darf fast jeder Gegner staatlicher Raucher-Diskriminierung seinem Zorn vor einem Mikro Luft machen. Rüstige Rentner halten steif Mini-Transparente in die Höhe, die so anmuten, als könne nur die Botschaft „Erwachet!“ von ihnen verkündet werden. Doch stattdessen drücken drei Friedhofskreuze nebst der Forderung „Die kleine Kneipe darf nicht sterben!“ ein wenig aufs Gemüt.

Als ginge es darum, der Welt Rückgrat in solch raucherfeindlichen Zeiten zu beweisen, bemühen sich die Anwesenden, möglichst viele Zigaretten in möglichst kurzer Zeit zu konsumieren. Trotzig hat sich eine Mittfünfzigerin bei dieser Kampfrauch-Veranstaltung einen Glimmstängel ins Ohr gesteckt.

Punkt zwölf Uhr soll die kraftvolle Kundgebung beginnen, doch als niemand mehr kommt, startet Rose Pauly schon etwas früher durch. Die Ex-FDP-Politikerin, mit Anfang siebzig immerhin noch Sprecherin des Anti-Rauchverbots-Bündnisses, sieht „den rauchenden Bürger von der Politik verfolgt“.

Als Starredner ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs angekündigt und ein Demonstrant witzelt, ob er wohl den Genossen Helmut Schmidt mitbringen werde. Doch da dieser prinzipiell nur in geschlossenen Räumen rauche, meint sein Gespächspartner, sei der Alt-Kanzler bei dieser Freiluftveranstaltung fehl am Platz.

Kahrs, bekennender Nichtraucher, fühlt sich in der kleinen Runde nicht recht wohl – soll er doch die SPD-Position zum schwarz-grünen Gesetzentwurf vertreten, die weder er noch irgendjemand anders kennt. So dauert sein Beitrag nur drei Lungenzüge oder umgerechnet 48 Sekunden und kommt über ein „praxisnaher Kompromiss statt absolute Lösung“ inhaltlich nicht hinaus. Hamburgs FDP-Chef Rolf Salo redet zwar auch nur einen Zug länger, schafft es aber in einer Minute mit „Bevormundung, Liberalität und Freiheit“ alle wichtigen Worte gleich mehrfach zu verwenden. „Freiheit“ heißt das Wort der Stunde, auch wenn es hier immer wie Umsatz klingt.

Nach zwei Zigarettenlängen ist alles gesagt. Punkt neun nach zwölf stieben die Demonstranten auseinander, um die nächste Aktion vorzubereiten. Am heutigen Mittwoch – wenn die Bürgerschaft das Nichtraucherschutzgesetz debattiert – soll an einigen Weihnachtsmarkt-Buden aus Protest die Beleuchtung für ein paar Minuten erlöschen.