Rettung in der Not

ÄSTHETISCHE GERÄUSCHE Patrick Bades Buch über Musik im Zweiten Weltkrieg

Im Krieg wird Musik doppelt wichtig. Nicht, weil es zu still wäre, sondern damit man mal andere Geräusche hört als Sirenen, Bomben, Schreie. Damit man Ästhetisches rezipiert und wenigstens kurz Erholung genießt. Das haben auch die Nationen gewusst, die am zweiten Weltkrieg beteiligt waren, sagt der britische Kunsthistoriker Patrick Bade; sein Buch „Music Wars 1937–1945“ ist jetzt frisch auf Deutsch erschienen.

Er habe sich gefragt, warum Menschen im Krieg besonders sensibel auf Musik reagierten, schreibt Bade. Und kommt zu dem Schluss, dass Musik in Extremzeiten auch eine extreme Funktion hat, quer durch alle Gattungen: Nicht nur, dass alle Staaten sie als Propagandain­strument nutzten. Auch klassische Musik wurde – etwa beim Schostakowitsch-Konzert 1942 im belagerten Leningrad – von eigens von der Front geholten Musikern gespielt; damit das Volk ein Gefühl von Normalität bekomme. Das kann man als erholsam und zynisch zugleich betrachten, so wie die Orchester in den Konzentrationslagern oder komponierende Kriegsgefangene. Letztlich geht es um eine zivilisatorische Selbstvergewisserung, einen Rettungsanker in der Not.

Bedeutend dabei vor allem: Unterhaltungsmusik, das zeigt Bades flüssig geschriebener 500-Seiten-Band: Lale Andersens „Lili Marleen“ war das wirkungsvollste Lied – über alle Fronten hinweg. Warum? Weil es darin nicht um Abstraktes wie den Heldentod ging, sondern um Sehnsüchte des Alltags. NS-Propagandaminister Josseph Goebbels mochte das Lied nicht, denn er wusste, dass Sentimentalität den Kampfeswillen schwächen konnte. Gegen den Erfolg von „Lil Marleen“ aber kam das Regime nicht an, so wenig wie gegen den Swing –auch wenn sogar eine NS-Swing-Band gegründet wurde, deren propagandistischen Texten aber kaum jemand lauschen wollte.

PS

Patrick Bade: „Music Wars 1935–1945“. Laika-Verlag 2015, 512 S., 34 Euro

Buchvorstellung mit dem Autor: Mo, 12. Oktober, 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45