Der totale Einkauf

WARENWELT Die Menschen verlangen nach Shopping Malls wie Lemminge nach dem Felsen. Das Warenhaus als Treffpunkt für – fast – alle bleibt dabei auf der Strecke. Denn in der Mall bleiben die Zielgruppen unter sich wie Schafe im Pferch. Ein Ausblick in die Ödnis

Keine Bank, nirgends, in der Mall: denn warum Raum geben dem Nicht-Konsumenten

Auf Wiedersehen Karstadt, guten Tag Shopping Mall. In Kiel scheint diese Nachricht jedermann froh zu stimmen. Die Händler, weil sie sich davon noch mehr Einkäufer versprechen. Und die Einkäufer, weil die Shopping Mall Erlebnisse verspricht. Diese Versprechungen scheinen so interessant zu sein, dass sie auch durch die geschlossene Ladentür wirken, denn die Leute sind auch am Sonntag dort zu finden. Man könnte aber auch den Mangel an Alternativen dafür verantwortlich machen. Gäbe es in den Innenstädten einen anderen Ort, an dem man sich einfach nur aufhalten könnte, würde der Reiz der Mall rascher blättern als es sich ihre Befürworter träumen lassen.

Derzeit aber träumen sie vom Erlebnis. Zu erleben sind in der Mall Kaffee-Ketten, Schuhgeschäfte, Handy-Läden, die obligatorische Douglas-Filiale, Billig-Schmuck-Läden und ein wenig Gesprengsel. Ein mittleres Erlebnis ist dann ein Stand vor Douglas oder die Hostessen, die vor dem Handy-Laden Werbeblätter verteilen. Ein großes Erlebnis sind kleinkalibrige Bands und Kleinkünstler, denn die Betreiber engagieren am liebsten jene, die nicht zu viel Aufmerksamkeit von den Waren abziehen.

Die Shopping Mall unterscheidet sich von der gemeinen Fußgängerzone dadurch, dass der Regen ausgeschaltet ist, aber viel wichtiger ist es, etwas anderes fernzuhalten: Menschen, die keine Einkäufer sind. Keine Sitzbank, nirgends, in der gut durchdachten Mall: denn warum Raum geben dem Nicht-Konsumenten und, schlimmer noch, dem sozial Randständigen.

Schön und gut, sagt da der Shopping-Mall-Freund, auch Karstadt ist nicht der Hafen der Schiffbrüchigen. Stimmt. Auch das Warenhaus versteht sich nicht als Bahnhofsmission. Aber das Warenhaus ist, und das wird es der Shopping Mall immer voraus haben, tausend Mal mehr Ort der Begegnung. Denn es will möglichst unterschiedliche Gruppen bedienen: die Mütter mit der Kinderkleidung, die Jugendlichen mit den Sportartikeln, die Rentner mit den Gartenutensilien. Und deshalb treffen sich dort Menschen, die in der Shopping Mall, wenn sie sie denn betreten, wie Schafe im Pferch in Richtung Sanitätshaus und Handy-Shop getrennt werden. Wobei eine Mall, die auf sich hält, vieles, aber kein Sanitätshaus aufbietet.

Es ist keine Menschenfreundlichkeit, sondern der Gedanke des vollständigen Sortiments, der das Warenhaus auch Kurzwaren verkaufen lässt. Wo sonst bekommt man heutzutage Reißverschlüsse oder Suppenkellen außer in einem Spezialgeschäft hinter den sieben Bergen?

Wir alle reisen nach Italien, weil es dort all die schönen kleinen Spezialgeschäfte in den winkeligen Altstadtstraßen gibt, aber wir müssen sie hierzulande für nicht ganz so bedeutsam halten, denn sonst hätten wir dort eingekauft, statt Ikea und Co. die Tür einzurennen. Nun bleibt eben das Warenhaus. Blieb, muss man wohl sagen.

Jene, die unsere Gesellschaft zerfasern sehen, machen das zuweilen auch am Alltag fest. Dabei muss es kein Verlust sein, dass nicht länger eine stabile Mehrheit „Wetten dass“ sieht. Mit dem Warenhaus verabschiedet sich nicht das Abendland. Aber ein Treffpunkt für Ältere und Jüngere, Reichere und nicht ganz so Reiche. Zu viele solcher Orte haben wir nicht gerade. FRIEDERIKE GRÄFF