Humor ist ein dehnbarer Begriff

KUNST Der Künstler Şakir Gökçebağ blickt mit Neugier und Humor auf Alltagsgegenstände und entdeckt in ihnen das Potenzial zum Ornament. Seine Ausstellung „Prefix & Suffix“ ist derzeit in der Galerie Tanas zu sehen

Şakir Gökçebağs Umgang mit Gebrauchsgegenständen ist einfach, aber nie platt

VON MARCUS WOELLER

Diese Eimer sind im Eimer. In mehrfacher Hinsicht. Dutzende schwarze Kunststoffeimer hat der Künstler Şakir Gökçebağ ineinandergesteckt und zu fünf Stelen aufgestapelt. Dabei sind die Eimer allerdings nicht nur faktisch im Eimer, sondern manche von ihnen auch so, wie es die Redewendung will: im Eimer. Also kaputt. Den unteren Kübeln wurde der Boden herausgeschnitten, und die untersten bestehen praktisch nur noch aus ihrer Krempe. Auch die großen Plastikkübel, die bei Tanas, dem Projektraum für zeitgenössische türkische Kunst, aufgestellt sind, erweisen sich als bodenlos. Jeglicher Funktion entbunden, stehen sie dort als Kessel Buntes: Kreisrunde Ausschnitte von Orientteppichen ersetzen den fehlenden Eimergrund.

Gökçebağs Installationen sind Wort- und Bildspiele. Seine Ausstellung „Prefix & Suffix“ präsentiert humorvolle Interventionen in die Materialwelt des Alltags. Dabei ist Humor für Gökçebağ ein durchaus dehnbarer Begriff, der vom banalen Witz bis zur geistreichen Pointe durchgespielt wird. Ganz im Sinne der Fluxus-Künstler, in deren Tradition der 1965 in der westtürkischen Provinzhauptstadt Denizli geborene und in Hamburg lebende Künstler steht.

Ein Raum ist der Wäscheklammer gewidmet. Aus einzelnen Wäscheklammern eine große zu formen mag zunächst wenig originell erscheinen. Doch fokussiert Gökçebağ mit einfachsten Mitteln auf die mechanische Grundfunktion der Wäscheklammer, etwas zu klammern – im Notfall sich selbst. Eine Wand weiter formiert sich das Utensil zu einer sich großspurig selbst tragenden Leiter, deren Tragfähigkeit über das Metaphorische hinaus jedoch bezweifelt werden darf. In einer dritten Arbeit hat Gökçebağ die Haushaltshelfer zu abstrakt dreidimensionalen Wandreliefs verklammert, in denen das Ausgangsmaterial fast unsichtbar wird.

Hier offenbart sich das Interesse Gökçebağs am Ornament. So grundlegend es für die islamischen Kunsttraditionen ist, so verschrien ist es in der westlichen Moderne, seit es der Architekt Adolf Loos 1908 in die Nähe des Verbrechens gestellt hatte. Doch auch die Türkei erlebte ihre Modernismen. In den 1920er Jahren verabschiedete sich der in den Laizismus aufbrechende Staat von der arabisch-persischen Schrift und wechselte zum lateinischen Alphabet. Gleichwohl spielen Kalligrafie und Ornamentik eine große Rolle. Viele der Arbeiten Gökçebağs haben eine ornamentale Qualität oder sind möglicherweise sogar kalligrafisch lesbar wie der gelbe Wasserschlauch, der sich anmutig über eine Wand schlängelt, oder das Rankwerk virtuos geschnittener Apfelschalen auf einer Großformatfotografie.

Şakir Gökçebağs gewitzter Umgang mit Gebrauchsgegenständen oder kulturell besetzten Objekten ist einfach, aber niemals platt. Mit kleinen Manipulationen befreit er die Dinge aus ihrem Kontext. Einer schier endlosen Reihe von Schuhen, wie man sie etwa vor einer Moschee während eines Gottesdienstes finden könnte, hat er in einem radikalen Gestus die Spitze abgeschnitten und so in eine Kollektion absurder Peeptoes verwandelt. Kämmen bricht der Künstler die Zinken ab und hängt sie nebeneinander zum Frequenzdiagramm einer imaginären Melodie.

Im vergangenen Jahr wurde Gökçebağ mit dem George-Maciunas-Preis ausgezeichnet, der nach dem 1978 verstorbenen Mitbegründer und Cheftheoretiker der Fluxusbewegung benannt ist. Gökçebağ ist mit seinen Innovationen aber auch auf der Höhe der zeitgenössischen Kunst. Ein Teppich, dessen inneres Feld herausgetrennt und mit Sonnenblumenkernen gefüllt ist, erinnert an die minimalistischen Installationen von Félix González-Torres. Die ironische Sicht auf Alltagsobjekte teilt er mit seinem mexikanischen Kollegen Gabriel Orozco und den Spaß an dinglichen Metamorphosen mit Ayșe Erkmen.

Präfix und Suffix bezeichnen in der Sprachwissenschaft morphologische Erweiterungen, die dem Wortstamm voran- oder nachgestellt sind. In den wenigen Buchstaben einer Silbe liegt die Macht, den Sinn eines Wortes wenig bis völlig zu verändern. Die Grundbedeutung versteht sich also nur als ein Angebot, das mit wenig Aufwand mannigfaltig zu variieren ist. Die Eleganz dieser sprachlichen Methode überträgt Gökçebağ auf die bildende Kunst. Dem Titel seiner ersten institutionellen Einzelausstellung wird er damit mehr als gerecht.

■ Şakir Gökçebağ: „Prefix & Suffix“. Tanas – Raum für zeitgenössische türkische Kunst, Heidestr. 50. Bis 2. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr