Hässlich, oh Gott: Zwischen Festival of Lights und Lichterketten in der City
: Gleich kommt der optische Zuckerschock

Ausgehen & Rumstehen

von Lea Streisand

Eigentlich wollten wir ins Kino, Frieda, Paul und ich, den „Marsianer“ gucken. Matt Damon pflanzt Kartoffeln hinterm Mond. Dann schrieb Hannes, ob wir feiern gehen. Und schließlich rief noch Tante Erna an und sagte: „Kinder, ich wollte mal fragen, da habt ihr aber bestimmt gar keine Lust drauf, das findet ihr albern und blöd.“ – „Was denn, Erna?“ – „Ich wollte zur Lichterkette.“ – „Lichterkette?“ – „Gegen die Flüchtlinge. Nein. Für die Flüchtlinge.“ Lichterketten sind politisch so wirkungsvoll wie Handauflegen. Oder Flüchtlinge streicheln. Sagt mein Mann. Sangen die Goldenen Zitronen schon 1994.

Und trotzdem sind wir hingegangen, Frieda, Paul, Tante Erna und ich. Weil die Deppen in Dresden auch auf die Straße gehen. Weil es ein Zeichen ist. Weil wir letztes Wochenende schon nicht bei TTIP waren. Und weil wir sowieso spazieren gehen wollten. Bei www.berliner-lichterkette.de hieß es, die Pankower sollten sich Alex/Ecke Spandauer Straße treffen. Pünktlich halb acht waren wir da. Menschenmassen um uns rum, alles strömte Richtung Linden. Tante Erna war aufgeregt. „Wo sollen wir denn jetzt hin?“ – „Immer der Masse nach“, sagt Frieda.

Anweisung aus dem Netz

Im Internet steht, wir sollen uns auf dem südlichen Bürgersteig verteilen. „Wo ist denn Süden?“, will ich wissen. – „Hier“, sagt Frieda. – „Hier ist doch Osten“, sagt Paul. Tante Erna findet das nicht witzig. Sie will jetzt Revolution machen. Schließlich hat das in ihrem Fall schon mal funktioniert. Vor 26 Jahren. Deswegen glaubt sie nämlich auch an Lichterketten.

Im Lustgarten stehen Hunderte und gucken in die Luft. Manche haben Blinkehütchen auf. Oder Hasenohren, die leuchten. Der Dom sieht komisch aus. „Ich weiß nicht, ob wir hier richtig sind“, sagt Tante Erna zweifelnd, „aber was wollen die denn alle hier?“ – „Festival of Lights“, sagt Frieda und zeigt zum Dom, der irgendwie in Tarnfarben getaucht ist. – „Was für’n Ding?“, sagt Erna. – „Die machen die Stadt bunt“, erklärt Frieda, „schöner unsere Städte und Gemeinden.“

Wir laufen weiter nach Westen. Es ist schon zehn vor acht und wir haben immer noch niemanden getroffen, der irgendwie nach Lichterkette aussieht. Am Bebelplatz kriegen wir einen optischen Zuckerschock. „Disneyland!“, ruft Frieda, „endlich!“ Die Alte Bibliothek gegenüber dem Hauptgebäude der Humboldt-Uni, die sogenannte Kommode, ist pink und gelb. „Oh Gott, ist das hässlich!“, murmele ich, da sagt Tante Erna: „Lea, die Kerzen!“

Zehn Männekieken stehen vor der Kommode am Straßenrand und halten Fahrradlichter, Grablichter und Kerzen mit Butterbrotpapier in den Händen. Schnell reihen wir uns ein in die Bürgerbetroffenheitsfront und halten die Kerze hoch.

Jetzt ein Bier

Nach zehn Minuten ist alles vorbei. „Dürfen wir jetzt Bier trinken?“, fragt Erna. Wir dürfen. In der Deponie fällt ein besoffener Rentner die Klotreppe runter und zwei Burschenschaftler rufen den Krankenwagen. Hannes geht später noch mit mir tanzen. In der Kalkscheune ist der Sound mies und alle Männer tragen Karohemden. „Warum tragen die denn alle Karohemden?“, fragt Hannes’ Freundin. –„Warum gibt’s hier keine Bässe?“, frage ich. – „Ihr könnt auch immer nur meckern, meckern, meckern“, meckert Hannes.

Als ich um vier ins Taxi steige, erzählt der Taxifahrer, er hätte heute Nacht schon richtig Pech gehabt. Erst einen Fahrgast, der nicht zahlen wollte, und als die Polizei kam, hat die gesehen, dass der P-Schein des Taxifahrers schon seit drei Monaten abgelaufen war. „Das kostet mich 250 Euro“, erzählt der Taxifahrer traurig, „und das alles wegen einer Fahrt von 10 Euro.“ Der arme Mann! Er hatte wirklich eine Scheißnacht.

Mit meinem Samstagabend kann ich dagegen ganz zufrieden sein.