"Schiedsgerichte werden missbraucht"

TTIP Schiedsgerichte sind inzwischen ein florierender Geschäftszweig, zeigt eine TV-Dokumentation

Michael Wech

Foto: Martin Kunze

46, Autor der Doku „Konzerne klagen – wir zahlen. Wie Schiedsgerichte den Rechtsstaat aushebeln“: Montag, 19. 10., 22.45 Uhr, ARD.

Am Montag beginnt in Miami die 11. Verhandlungsrunde über das transatlantische Handelsabkommen TTIP. Hintergründe zu den umstrittenen Schiedsgerichten vom Autor des Films, Michael Wech.

taz: Herr Wech, Sie zeigen, dass private Schiedsgerichtsverfahren den Rechtsstaat aushebeln. Wie funktioniert das?

Weltweit gibt es über 3.000 Verträge zwischen Staaten mit diesen Schiedsgerichten, die sich aus drei Privatpersonen zusammensetzen. Jede Partei bestimmt einen Schiedsrichter, die einigen sich auf einen Vorsitzenden Richter. Sie sind aber nicht an ein unabhängiges Gericht angebunden, und es gibt keine Revisionsinstanz. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall verklagt Deutschland wegen des Atomausstiegs vor einem Schiedsgericht auf Schadenersatz von 4,7 Milliarden Euro. Das muss man sich mal vorstellen: Drei Privatleute richten über die Entscheidung eines souveränen Staats.

Wer sind die Richter?

Eine kleine Elite von Anwälten teilt diesen Markt unter sich auf. 2011 haben 15 Schiedsrichter 55 Prozent aller Klagen entschieden. Kanzleien verdienen bis zu 30 Millionen Dollar pro Klage. Die Zahl der Verfahren ist explodiert. 1989 gab es weltweit keinen einzigen Fall, 1996 waren es 38 und plötzlich in den Jahren 2012 und 2013 jeweils 50 neue Klagen.

Woher kommt dieser Boom?

Der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Gus van Harten sieht einen Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008. Hedge­fonds, Banken und Versicherer, die viel Geld verloren haben, suchen nach neuen Anlagemöglichkeiten. „Prozessfinan­zierer“ bringen klagewillige Konzerne und findige Rechtsanwälte zusammen und verdienen daran.

Welche Folgen hat das für Staaten?

Beispiel Spanien: Das Land hat die Solarindustrie mit hohen Subventionen ins Land geholt. Dann wurden diese unter dem Druck der EU in der Finanzkrise gekürzt. Jetzt klagen 20 Konzerne gegen Spanien wegen entgangener zukünftiger Profite. Inländische Unternehmen können nicht klagen.

Sind Staaten nicht selbst schuld, wenn sie sich auf solche Verträge einlassen?

Die Schiedsgerichte werden missbraucht. Spanien hat 1991 die Energiecharta unterschrieben. Damit sollten Investitionen von Energiekonzernen in den Ländern der ehemaligen UdSSR geschützt werden, etwa vor Enteignungen. Die Energiecharta war nicht dazu gedacht, dass Unternehmen Staaten verklagen, weil keine Subventionen mehr fließen.

Wäre es eine Lösung, Schiedsgerichte durch einen Handelsgerichtshof zu ersetzen?

Das würde die größten Übel lindern, etwa durch eine Revisionsinstanz. Allerdings sagen Schiedsrichter, dass man dafür zehn Jahre bräuchte. Und die USA werden sich kaum auf so etwas einlassen.

Interview Anja Krüger