Noch ein weiter Weg bis zur Sicherheit

Polizei Heute wird erstmals die Arbeitder Fahrradstaffel ausgewertet. Der ADFC und Unfallforscher fordern ihren Ausbau und einen stärkeren Fokus auf Autofahrer

Im Zweifel gewinnt das Auto: verunfalltes Fahrrad im Juni dieses Jahres Foto: Daniel Naupold/dpa

von Plutonia Plarre

Seit einem guten Jahr gibt es die Fahrradstaffel der Polizei. Fotogen sind die 20 BeamtInnen auf jeden Fall – aber was bringt ihre Arbeit? Unfallforscher des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft haben die Radtruppe begleitet und Verkehrsteilnehmer interviewt. Ihre Leitfrage: Hat die Fahrradstaffel Einfluss auf die Unfallbilanz? Das Ergebnis der Evaluation wird am heutigen Montag von Polizeipräsident Klaus Kandt vorgestellt. Vorab verrät Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung, nur so viel: „Es geht um harte Facts.“

Die Zahl der Unfälle, in die Radfahrer verwickelt sind, nimmt in Berlin stetig zu. Das geschieht zwar nicht im selben Maße, wie der Radverkehr zunimmt. Aber anders als bei Pkw-Unfällen, bei denen weniger Insassen schwer verletzt oder getötet werden, nehmen bei den Radlern die Unfälle mit gravierenden Folgen auch nicht ab. Erst am 12.Oktober ereignete sich in Charlottenburg ein schwerer Unfall: Eine 64-jährige Radfahrerin erlitt schwere Kopfverletzungen, als sie an einem in zweiter Reihe haltenden Lkw vorbeifahren wollte. Der Fahrer habe plötzlich die Tür geöffnet, so die Polizei.

Im Jahr 2014 kamen 7.699 Unfälle mit Radfahrbeteiligung bei der Polizei zur Anzeige. 589 Radfahrer wurden schwer verletzt, zehn kamen ums Leben. In 49 Prozent der Fälle sei der Radfahrer Haupt- oder Mitverursacher des Unfalls, sagt Sven Heinrich, stellvertretender Verkehrs-Stabsleiter im Polizeipräsidium. Unter dem Aspekt, dass der Radverkehr stark zunehme, „ist die Unfallentwicklung relativ undramatisch“, findet er.

Über 1,5 Millionen Wege legen die Berliner täglich mit dem Rad zurück. Der Anteil ist von 2008 (11 Prozent) auf 13 Prozent (2013) gestiegen.

In der City hat das Rad (18 Prozent aller Wege) das Auto (17 Prozent) überholt. Das hat die jüngst fertiggestellte Sonderauswertung einer Haushaltsbefragung von 2013 ergeben.

Der Entwurf für den Etat 2016 für neue Radverkehrsanlagen beträgt 4 Millionen Euro. 2017 gibt es noch 1 Million dazu. Für die Sanierung von Radverkehrs­anlagen sind in beiden Jahren je 2 Millionen Euro vorgesehen.

Es gibt weitere separate Titel: zum Beispiel für das Fahrradverleihsystem (1,5 Mio Euro) ab 2016. Für Abstellanlagen an Bahnhöfen jährlich zirka 0,5 Mio. Euro.

Kein Fokus auf Autos

Bernd Zanke vom ADFC sieht das anders. Hauptursache von Unfällen, bei denen Radfahrer schwer verletzt und getötet werden, seien Abbiegeunfälle unter Beteiligung von Pkw und Lkw. Von 2013 auf 2014 hätten sie um 15 Prozent zugenommen. „Schulterblick vergessen, kein Sicherheitsabstand zum Radfahrer, Tür aufgemacht, ohne zu gucken, ob ein Rad kommt“ – das seien die schlimmsten Fehler der Autofahrer. Sein Vorwurf an die Fahrradstaffel: Sie konzentriere sich zu wenig auf die motorisierten Verkehrssünder. Zanke: „Das muss sich ändern.“

Im Juli war bekannt geworden, dass die Fahrradstaffel im ersten Jahr 270.000 Euro Strafgelder gegen Radler verhängte. Dagegen wurden nur Bußgelder über insgesamt 6.600 Euro für Pkw-Falschabbieger fällig. „Dieses Ungleichgewicht muss sich ändern“, fordert Zanke. Dabei ist der ADFC ein großer Befürworter der Fahrradstaffel. Mehr noch: Aus dem Projekt müsse eine feste Einrichtung in allen Bezirken werden, fordert Zanke. „Mindestens 60 Beamte auf Rädern“ brauche Berlin.

„Berlin braucht mindestens 60 Beamte auf Rädern“

Bernd Zanke, ADFC Berlin

Burkhard Horn, Abteilungsleiter Verkehr beim Stadtentwicklungssenator, hofft zumindest, dass die Fahrradstaffel in Mitte zur Dauereinrichtung wird. Seine Abteilung und der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft haben je 35.000 Euro für ihre Ausrüstung dazugegeben. Bereits jetzt werden Horn zufolge in der Innenstadt 18 Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt: „Das Rad hat das Auto überholt.“

ADFC-Mann Zanke und Unfallforscher Brockmann kritisieren, dass der Ausbau der Infrastruktur nicht mit der Zunahme der Radfahrer Schritt hält. Horn gibt den Kritikern recht. „Es ist unstrittig, dass Berlin beim Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur Nachholbedarf hat.“ Dass es so lange dauere, liege auch an der Personalknappheit bei den Bauämtern der Bezirke. In Bezug auf den Fahrradetat des Landes sagt Horn: „Eigentlich brauchen wir mehr. Aber wir können nur so viel beantragen, wie wir auch in Baumaßnahmen umsetzen können.“