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Die manischen Freuden des Punk-Faktotums

Konzert Historisch Bewährtes, aber keine Butterfahrt: John Lydon präsentiert sich mit PiL im Columbia Theater in alter Nörglerform

John Lydon kommt mit dem Comeback seiner Band Public Image Ltd. ungefähr zehn Jahre zu spät. Diese Feststellung ist ganz wertfrei gemeint, ungeachtet der musikalischen Qualität des Spätwerks. Als alte Weggefährten wie Wire, Gang of Four oder die Slits Anfang der Nuller Jahre ihre Geschichte zu kanonisieren begannen und gleichzeitig Anschluss an einen zeitgenössischen Gitarrensound suchten, hockte der „König des Punk“, wie sich Lydon manchmal noch mit sardonischem Grinsen nennt, im „Dschungelcamp“, ernährte sich von frittierten Heuschrecken und war eins mit sich und der Natur.

Seine zweite Karriere als britisches Fernsehfaktotum genoss er sichtlich, aber irgendwann wurde es auch für Lydon Zeit, an die Pflege seines musikalischen Vermächtnisses zu denken, um nicht anderen die Deutungshoheit über sein Lebenswerk zu überlassen.

Public Image Ltd., oder kurz: PiL, haben in der Biografie des ehemaligen ­Sex-Pistols-Sängers immer eine besondere Wertschätzung genossen. Das PiL-Debütalbum rettete den Punk 1978 gewissermaßen vor sich selbst, der Nachfolger, die legendäre „Metal Box“, flößte dem Postpunk kurz darauf die bassige Wärme des Dub ein. Kritiker horchten also auf, als sich Lydon 2012 mit dem programmatisch betitelten Album „This is PiL“ zurückmeldete. Der Erlös aus einer Landbutterwerbung hatte ihm ein unerwartetes Come­back ermöglicht.

Seit drei Jahren befindet sich John Lydon inzwischen auf einer ausgedehnten Erinnerungstour, die ihn am Donnerstag auch nach Berlin führte – zum ersten Mal seit der fragwürdigen Sex-Pistols-Reunion 1996. Im Frühjahr veröffentlichte der 59-Jährige mit „Anger is an Energy“ seine Memoiren, doch das zweite PiL-Album „What the World Needs Now . . .“ nach der Reunion, im vergangenen Monat im Eigenverlag erscheinen, war auch als deutliche Ansage zu verstehen, dass Lydon – anders als viele Nutznießer des Postpunk-Revivals – seine Karriere nicht im Nostalgiemodus zu beenden gedenkt. Wobei der Beitrag von „This is PiL“ und „What the World Needs Now . . .“ zum gegenwärtigen Stand der Popmusik erwartungsgemäß überschaubar bleibt.

Das Publikum im ausverkauften Columbia Theater machte allerdings nicht den Eindruck, als sei es an aktuellen Popdiskursen sonderlich interessiert. Es schwelgte in Erinnerungen, noch bevor Lydon und seine Mitstreiter – Ex-Damned-Gitarrist Lu Edmonds, Popgroup-Drummer Bruce Smith und der kurzzeitige Spice-Girls-Bassist Scott Firth – die Bühne betreten hatten. Los ging es zunächst jedoch mit den beiden ersten Stücken vom aktuellen Album, auf dem sich Lydon wieder in großer Nörg­ler­form präsentiert – eine Disziplin, in der die Sleaford Mods derzeit dennoch unangefochten bleiben.

Stimmungsvolle Revue

Die eigentlich spannende Frage des Abends lautete ja, wie Lydon selbst sein Vermächtnis bewerten würde. Mit „This is not a Love Song“ leiteten PiL zu einer stimmungsvollen Revue aus Klassikern, aktuellen Songs und durchaus überraschenden Beiträgen aus der wechselhaften Spätphase der Band über. Stücke wie „Warrior“ und „Dis­appointed“ vom 89er Album „9“ zählen nicht gerade zu den Höhepunkten des PiL-Œuvres, zwischenzeitige Durchhänger machte die Band aber mit Klassikern wie „Death Disco“ und einer manischen, zehnminütigen Version von „Religion“ wieder wett.

Bemerkenswert war, wie souverän Firth sowohl den kirren Dub vom ersten PiL-Bassisten Jah Wobble als auch den kantigen Mutant-Disco-Funk aus der kurzen Bill-Laswell-Ära Mitte der Achtziger beherrschte. So nahm das Set mit zunehmender Dauer an Fahrt auf und bekräftigte damit letztlich doch Lydons Ankündigung, dieses Konzert werde keine Butterfahrt.

Wobei sich die Band kaum einmal aus der Komfortzone des historisch Bewährten herausbewegte. Lydon ist und bleibt ein Original. Aber auch seine unterhaltsamen Liveshows ändern nichts an der Tatsache, dass er heute in erster Linie als Verwalter seiner eigenen Geschichte auftritt. Andreas Busche

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