„Das Chaos ist inszeniert und gewollt“

Das bleibt von der Woche In der Flüchtlingsfrage zeigen sich die Berliner Behörden weiterhin verwirrt, die Mitglieder der SPD dürfen beim Programm ihrer Partei zur Abgeordnetenhauswahl mitmischen, das Myfest entpuppt sich plötzlich als bloße Party ohne politischen Anspruch, und mit Schnute hat sich die letzte Stadtbärin verabschiedet

Ein inszenierter Notstand

Flüchtlingschaos

Nur das Engagement Ehrenamtlicher lindert ein wenig die Not

Seit Monaten nun warten Flüchtlinge vor der Asylerstaufnahmestelle Lageso wochenlang ohne ausreichende Betreuung, etwa ohne geeignete Warteräume für Kranke, Alte, Verletzte, Schwangere oder Eltern mit Kleinkindern, wie die Jugendstadträtin von Mitte Sabine Smentek am Freitag moniert. Es fehlt auch an verständlichen Informationen darüber, wie das undurchsichtige Aufnahmesystem funktioniert. Das führt zu Chaos und Verwirrung. Die Einrichtung einer neuen Erstaufnahmestelle und dafür einer Vorerfassung am Lageso vergrößert die Unübersichtlichkeit zusätzlich.

In den ständig neu eröffneten Notunterkünften – von der Errichtung regulärer Wohnheime redet schon lange niemand mehr – wächst die Zahl der noch nicht erfassten Asylsuchenden, die weder Taschengeld oder Fahrkarten bekommen noch Anspruch auf Gesundheitsversorgung haben. Nur das Engagement ehrenamtlicher HelferInnen lindert ein wenig deren Not. Die vom zuständigen Sozialsenator Mario Czaja (CDU) eingeleiteten Maßnahmen – Austausch von Leitungspersonal, Koordinierungsstab, neuer Staatssekretär – bleiben ohne jede Auswirkung.

Das Chaos sei inszeniert, gewollt, sagte deshalb die grüne Flüchtlingspolitikerin Canan Bay­ram diese Woche im taz-Interview: Es sollten, glaubt sie, „Bilder produziert werden, die die hilfsbereite Stimmung kippen lassen“ – etwa von Schlägereien unter den Wartenden. Es wird also die Not der Flüchtlinge genutzt, gar vergrößert, um Stimmung gegen sie zu machen? Sollte Bayram Recht haben, wäre dieses Verhalten des Christdemokraten Czaja unverantwortlich. Dass sie Unrecht hat, ist nach so vielen Monaten der folgenlosen Ankündigungen von Verbesserungen durch die Zuständigen aber kaum noch vorstellbar. Alke Wierth

Die fehlende 13. Frage

Die SPD-Basis stimmt ab

Denkt man das SPD-Modell zu Ende, hat das Folgen für ihre Führungsfigur

Nun sollen also die Mitglieder entscheiden, mit welchem Programm die SPD 2016 in die Abgeordnetenhauswahl zieht. Zumindest teilweise: Zwölf Fragen stehen auf dem Abstimmungsunterlagen, die am Dienstag und Mittwoch in die Post gingen. Zwölf Fragen zu Themen, die der Landesverband nach eigenen Angaben zuletzt kontrovers diskutiert hat. Das kann man jetzt im Sinne von Mitbestimmung ganz toll finden: alle Macht der Basis, keine einsamen Entscheidungen mehr, keine Absprachen in Hinterzimmern.

Aber dann muss man sich auch fragen, warum die SPD sich auf zwölf Themen beschränkt. Und man kann fragen, ob sich die gewählten Themen für eine Ja-Nein-Entscheidung eignen. Das mag bei der Frage nach dem Wahlalter – 16 statt 18 Jahre? – noch gehen. Aber schon in der Frage zum Wohnungsbau stecken drei Adjektive, die jeder nach Gusto auslegen kann: Was sind „günstige“ Mieten? Was ist der „einfachere“ Standard, in dem die Landesgesellschaften „verstärkt“ Wohnungen bauen sollen? Dem einen sind 5 Euro pro Quadratmeter schon zu viel, Regierungschef Michael Müller hingegen legt „günstig“ eher in Richtung 6 bis 8 Euro aus.

Und weil gerade vom Regierungschef die Rede ist: Denkt man das SPD-Modell zu Ende und lässt die Basis alles entscheiden, hat das auch Folgen für ihre Führungsfigur. Die müsste Beschlüsse exekutieren, die sie vielleicht gar nicht mitträgt. Bei Müller wäre das der Fall, wenn sich die Partei für eine Cannabis-Freigabe einsetzte.

Die Basis vorab alles festlegen zu lassen, ist nicht vereinbar mit dem jetzigen Modell, in dem sich eine Person mit ihrem Charisma und ihren Vorstellungen um das Vertrauen der Partei bewirbt. Zugespitzt heißt der neue Weg: Die SPD bräuchte keinen Spitzenkandidaten mit eigenen Vorstellungen oder gar Idealen – er hätte ja nichts mehr zu entscheiden –, sondern nur noch einen effizient arbeitenden Manager und Verwalter. Das kann man wollen, muss man aber nicht. Entscheiden muss es die SPD selbst. Es hätte die 13. Frage auf dem Abstimmungsbogen sein können.

Stefan Alberti

Keiner will die Party verantworten

Myfest auf der Kippe

Der Bezirk kann froh sein, dass die Aufklärung nun ganz ohne Unglück geschieht

Eigentlich müsste das Kreuzberger Bezirksamt dem Anwohner dankbar sein, der gegen das Myfest klagt. Nur weil die Riesensause demnächst vor Gericht kommt, wurde bekannt, dass sie seit Jahren nicht mehr den Status einer politischen Versammlung hat. Für eine private Veranstaltung trägt aber allein der Anmelder die Verantwortung. Etwa für Sicherheit, aber auch für sanitäre Anlagen. Anmelder des Myfests ist seit Jahren das Bezirksamt – das sich seiner Rolle dabei offenbar gar nicht bewusst war.

So stellt es der Bezirk jetzt jedenfalls dar. Die Verantwortung sei bisher auf viele Schultern verteilt gewesen, sagte Sprecher Sascha Langenbach am Montag. Polizei, Anwohner und Bezirk hätten das Fest gemeinsam gestemmt. Die Polizei dagegen erklärte, sie sei nur für die Sicherheit auf Versammlungen zuständig, das Myfest sei aber keine solche Versammlung. Woraufhin das Bezirks­amt am Dienstag einstimmig beschloss, dass es als Veranstalter eines solchen Fests „nicht infrage kommt“.

Hätte es in der engen, übervollen Oranienstraße am 1. Mai einen Brand oder eine Massenpanik gegeben, die Verantwortung wäre danach wohl ähnlich hin- und hergeschoben worden. Am Ende hätte wohl der Bezirk als Anmelder das Nachsehen gehabt. Insofern kann Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) geradezu froh sein, dass die Aufklärung nun ganz ohne Unglück geschieht. Juristisch gesehen trug sie offenbar schon seit Jahren die Verantwortung. Dagegen kann sie sich jetzt zumindest wehren, mit einer Absage.

Irgendwer bei der Polizei und in der Politik muss davon gewusst haben, dass das Myfest schon lange nicht mehr als Versammlung durchgeht. Wer, ist unklar. Die Veranstaltung war und ist politisch gewollt, von der CDU bis zu den Grünen. Weil sie der Randale am 1. Mai etwas entgegensetzt und man dort so schön multikulti feiern kann.

Gut möglich, dass das Myfest 2016 nun ausfällt. Das wäre schade. Eine Party, die sich niemand zu verantworten traut, sollte man aber tatsächlich besser absagen. Antje Lang-Lendorff

Ein letztes Ständchen für die Bärin

Schnute ist nicht mehr

Um des Bären Fell gab es schon Streit, lange bevor das Tier erlegt war

Berlin unterhält die erstaunlichsten Ämter. Das des Stadtbären hatte bis zu dieser Woche die 34-jährige Braunbärin Schnute inne. Doch nun ist Schluss. Weil sie wegen ihrer fortgeschrittenen Altersarthrose nicht mehr vom Außen- in den Innenbereich ihres Geheges wechseln konnte, wurde sie am Sonntag eingeschläfert. Ihre Stelle steht auf „kw“, es wird keinen neuen Stadtbären geben. Das Amtsgebäude, ein 480 Quadratmeter großes Gehege am Köllnischen Park, das 1939 errichtet worden war, bleibt leer. Die Anlage entspricht nicht mehr den heutigen Maßstäben an eine tiergerechte Braunbärenhaltung.

Um des Bären Fell gab es aber schon Streit, lange bevor das Tier erlegt war. Schnute lebte in dem Zwinger jahrelang mit ihrer Tochter, der 2013 gestorbenen Maxi. Zu jedem Geburtstag der Tiere kamen die „Berliner Bärenfreunde“, um ihnen ein Ständchen zu singen, während das „Berliner Bärenbündnis“ die Umsiedlung in einen Bärenpark außerhalb der Stadt forderte. Dafür setzte sich auch „Bärenbotschafter“ – noch so ein überraschendes Stadtamt – Andreas Hoppe ein (bekannt als Kopper im „Tatort“, das putzige Bärchen von Lena Odenthal).

Regelmäßig fanden Protestaktionen vor dem Gehege statt, bei denen erwachsene Menschen sich in absurde Bärenkostüme zwängten, die offenbar eigens zu diesem Zweck vorrätig gehalten wurden. Im Januar 2013 kam es sogar zum „Bärenkrieg von Mitte“, wie der Berliner Kurier berichtete: „Der Verein Berliner Bärenfreunde traf sich am Zwinger, um an die Geburtstage der Bärinnen zu erinnern. In die stille Feier platzte das Berliner Bärenbündnis mit einer Gegendemo.“ Dass es nicht zum Äußersten kam, war dem Termin geschuldet – Winterschlafzeit: „Mit ‚Psst, die Bären schlafen‘ der Bärenfreunde ließen sich die Freiheitsrufe des Bärenbündnisses stoppen.“

Es war also immer was los am Bärenzwinger. Das Wechselspiel von Geburtstagsgrüßen, Protesten und Winterschlaf formte eine eigene Berliner Tradition. Nun kündigt das Bärenbündnis nach angemessener Trauerzeit seine Auflösung zum Ende des Jahres an. Die Berliner Bärenfreunde dagegen wollen weitermachen und die Erinnerung an Schnute aufrechterhalten. Bliebe noch die Frage, was mit des Bären Fell geschieht – und den Kostümen. Heiko Werning