Salman Rushdie auf der Buchmesse: Tausendundeine schöne Seltsamkeit
Als gewichtige Stimme für Meinungsfreiheit tritt Salman Rushdie auf der Frankfurter Buchmesse auf. Ein Blick in sein neustes Werk.
Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte – das ergibt zusammen tausendundeine Nacht. So lange währt die Zeit der Seltsamkeiten, von der Salman Rushdie erzählt. Tausendundeine Nacht benötigte bekanntlich auch die orientalische Märchentante Scheherazade, um ihre Geschichten an den Mann zu bringen.
Doch während sie erzählen musste, um ihr Leben zu retten, bringt sich der Philosoph Ibn Ruschd bei Rushdie vor den sexuellen Gelüsten seiner überirdischen Frau in Sicherheit. Dunia ist eine Dschinnya, ein weiblicher Dschinn also; dahinter verbergen sich dämonenartige Fabelwesen und Geister des Orients, die in diesem Roman zu großer Form auflaufen.
In seinem neuen Roman geht die Fantasie aufs Herrlichste mit Salman Rushdie durch. Dabei bekämpft er das Märchenhafte mit Science-Fiction, die Mythologie mit dem Katastrophenfilm, lässt die Popkultur fröhlich hochleben, greift auf Zeitgeschichte, Soziologie und Politik zurück und lässt alles in einen utopischen Roman münden. Ein allwissender Erzähler, der im Pluralis Majestatis redet, spricht aus der fernen Zukunft zu uns.
Tausend Jahre später, als die Welt endlich zur Vernunft gekommen ist und mithin auch Religionen keine Rolle mehr spielen, berichtet er, wie sich alles zugetragen hat: „Wie sind wir vom Damals zum Heute gelangt?“
Höheres und höchster Blödsinn
Die religiösen Konflikte der Jetztzeit spiegeln sich in diesem umwerfenden Roman ebenso wie der Kampf der Kulturen. Die Terroranschläge des 11. Septembers vibrieren zwischen den Zeilen wie auch die Feldzüge der IS-Krieger. Voneinander getrennte Welten entstehen hier überall.
Salman Rushdie: „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Bertelsmann, München 2015, 384 Seiten, 19,99 Euro.
Gut und Böse, Ost und West, Flaschengeist und die Büchse der Pandora, Wirklichkeit und Fiktion, wobei im Roman das Fiktive schon Realität geworden ist: Die Bürger einer französischen Stadt verwandeln sich tatsächlich in Nashörner, alte Iren ziehen wirklich in Mülltonnen um, und ein russischer Beamter verliert allen Ernstes seine Nase. Von dieser Art höherem und höchstem Blödsinn wimmelt das turbulente Buch. Und die lustvolle Übersetzung von Sigrid Ruschmeier folgt dem literarischen Overkill mit großem Gespür in all seine unterschiedlichen Tonlagen.
Auch sein eigenes Leben spiegelt Rushdie in diesem Roman, der immer wieder auch nach Indien blickt, wo er 1947 geboren wurde. Es sind sehnsuchtsvolle Blicke, Kindheitserinnerungen, die auch mit dem märchenhaften Sujet zusammenhängen. Die Verwandtschaft des Autors zu seiner Figur Ibn Ruschd, der sich als Anti-Scheherazade mit seinen Geschichten in Gefahr bringt, liegt auf der Hand. An einigen Stellen betrachtet er sich als alt gewordener Mann mit all seinen Widersprüchen, Sehnsüchten und Irrfahrten, derweil der Erzähler immer wieder sarkastische Kommentare anbringt.
Mit seinem zotigen Blick zurück aus ferner Zukunft beschert uns Salman Rushdie eine komische, verflixt intelligente und im Grunde genommen gar nicht auszudenkende Parabel auf den Zustand der Welt. Hinreißender wurde das Zeitalter der Vernunft selten beschworen.
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