Der Himmel über Havanna

Nach oben Kubas Städte sind durchzogen von einem Gewirr von Drahtlosnetzwerken. Es wird gespielt, Videos geschaut oder kommuniziert. Die Netze darfes offiziell eigentlich nicht geben. Gibt es aber

Von Fidel Alejandro Rodriguez

Der Himmel ist ja nicht so der Ort für Tagesspaziergänge, aber wenn es die Hitze der Sonne erlaubt, dann lauf mal durch Havanna und schau nach oben. Wenn du ein bisschen Glück hast, dann wirst du sie sehen, die Antennen der Drahtlosnetzwerke, die die ganze Stadt durchziehen.

Sie sind Teil einer üppigen Infra­struktur von Hunderten miteinander verbundener Netze. Es gibt sie seit fünf Jahren, und sie sind dabei, das Pa­norama von Technik und Kommunikation in Kuba vollkommen umzukrempeln – durch den gemeinsamen Willen Tausender junger Leute jenseits der staatlichen Stellen.

Sie sind getarnt mit Nylon-Überzügen und behangen mit frisch gewaschener Wäsche. Sie stehen direkt neben den Fernsehantennen. Sie sind illegal, in ihre Einzelteile zerlegt und im Koffer geschmuggelt ins Land gekommen und dann auf dem Schwarzmarkt für rund 200 CUC (200 Dollar) verkauft worden. Von ihnen geht meist ein ganzes Knäuel von LAN-Kabeln aus, die in blauen und gelben Linien zwischen den Häusern der Stadt hin und her laufen.

In einem der Foren, die mit diesen Netzen betrieben werden, ist im Mai 2015 die Rede von rund 15.000 registrierten Nutzern. Diese Zahl gibt allerdings nur eine erste Annäherung an die Tausenden von Inhalten in den Netzen, ihre Kopien in fast allen Provinzen des Landes und all die Nutzer, die nirgendwo registriert sind.

Gerade sind sie 18 geworden. Jetzt verbringen Armando und Yoel einen Großteil ihrer Zeit im Netz. Ein Dutzend gekoppelter Server mit Videospielen stehen ihnen zur Verfügung, etliche Chatforen, wo sich Nutzer über irgendwelche von ihnen selbst vorgeschlagenen Themen austauschen, Blogs über Sport oder Informatik, soziale Netzwerke, die Facebook oder Twitter nachempfunden sind und Seiten, auf denen man Videos herunterladen kann, mit wöchentlicher Aktualisierung der neuesten US-amerikanischen oder mexikanischen Serien.

Viele Jugendliche haben schon bevor sie volljährig sind die Verantwortung für einen der Knotenpunkte dieser Netze – immerhin eine halblegale Struktur. Bei Entdeckung können sie bestraft und ihr Equipment beschlagnahmt werden. Und deshalb sind in diesem Text auch die Namen geändert.

Man kann in den Netzen viel erleben – von wilden Schlacht­szenen aus der Nach-Kaltekriegszeit, die gemeinsam durchgespielt werden, bis hin zu jener warmen Stimme einer kubanischen Hausfrau, die jede Woche einmal abends für ein Publikum von Tausenden Kubanern live Coverversionen von Lady Gaga singt.

Der Kleinknoten, an dem Armando und Yoel mitwirken, wurde von einer Gruppe von Freunden aus dem gleichen Kiez eingerichtet. Sie sammelten Geld, um Equipment kaufen zu können. Den ersten Router bekamen sie von anderen Mitgliedern des Netzwerkes geschenkt, um loslegen zu können. Sie klaubten mehr als 200 Meter Lan-Kabel zusammen und verlegten sie über die Dächer bis zur nächstgelegenen Antenne.

Der nächstgelegene Knoten, SNet, war da schon zum symbolischen Zentrum der Bewegung geworden. Sein Forum war überaus populär, und die Regeln, die über die Zeit entwickelt wurden, wurden bald von allen Netzen übernommen. Sie reichen von einfachen technischen Anweisungen über das Aufnahmeprozedere für neue Mitglieder bis hin zum strikten Tabu, den Namen des Knotens öffentlich zu verwenden oder irgendwelche Anlagen sichtbar zu installieren. Von Anfang an auch war es untersagt, die Foren für politische oder religiöse Debatten, für kommerzielle Zwecke oder für den Zugang zum Internet zu benutzen.

Derzeit können Bürger laut der kubanischen Gesetze lediglich Frequenzen unterhalb von 5 GHz benutzen, und das auch nur innerhalb ihrer eigenen Räumlichkeiten. Insofern liegt die gesamte Infrastruktur der drahtlosen Netzwerke in einer rechtlichen Grauzone. Die Geschichten der Netzmitglieder reichen von der Beschlagnahmung ganzer Knotenpunkte bis hin zur Kooperation des Staates, der mitunter gestohlene Gerätschaften wieder an die Eigentümer zurückgab. Nichtsdestotrotz werden die Netze permanent erweitert. Aber sie sind dafür gemacht, im Schatten zu bleiben.

Armando hat im September angefangen, an der Universität Informatik zu studieren. Yoel ist zum Militär eingezogen worden, die Gerätschaften ihres Mikroknotens bleiben. Noch immer führt ein blaues Kabel von ihren Häusern über die Straße zur nächstgelegenen Antenne.

Die Erweiterung des Internetzugangs in Kuba und die allmähliche Verbesserungen der Beziehungen zu den USA werden auch die Entwicklung der unabhängigen Netzstrukturen nicht unberührt lassen. Der Spaziergang mit Blick in den Himmel wird jede Woche neue Erkenntnisse bringen.

Fidel Alejandro Rodriguez,30, ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der Uni Havanna, freischaffender Videojournalist und arbeitet für die Zeitschrift Temas.