Die Partitur der Freaks

Zahlen und Zeichen: Am Wochenende kommt das „Readme“-Festival für Softwarekunst erstmals nach Deutschland. In Dortmund treffen sich Freaks und Künstler zur internationalen Quellcode-Schau

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Zeigt man einem Computer-Nutzer, welches Zeichen- und Zahlengewitter sich hinter den Programmen verbirgt, die er da relativ souverän bedient, versteht er meistens nur noch Bahnhof. Informatiker und Freaks hingegen lesen – ähnlich wie ein Pianist eine Partitur – den so genannten Quellcode wie ein Buch. Und regen sich auf, wenn er schlecht gestrickt ist. Oder begeistern sich, wenn der Programmierer besonders geschickt war.

Meist geht es hier um die pure Funktionalität eines Computers, also dass die Programme laufen, leicht zu handhaben sind und nicht abstürzen. Dass man mit Computern aber auch noch andere Sachen machen kann als Spiele zocken oder Texte schreiben, weiß man schon seit den Sechziger- und Siebzigerjahren. Was damals als Computerkunst firmierte, legte vor allem Wert auf das, was vorne rauskommt: meterweise bedrucktes Papier ratterte aus Nadeldruckern und man bestaunte das Produkt, das fertige Kunstwerk. Die Methode aber, die zu diesem Resultat geführt hatte, die Prozesse im Innern der damals noch reichlich archaischen Schachteln namens Computer blieben weitgehend unbeachtet.

Heute ist das anders: Das Berliner Medienkunstfestival „transmediale“ schuf vor vier Jahren den Begriff der „Softwarekunst“, für den es mittlerweile zahlreiche Synonyme gibt, „experimentelle Software“ beispielsweise oder, was die Sache vielleicht am besten trifft: „nicht-rationale Software“. Den Programmierern (Künstlern) geht es hier eben nicht um nüchterne Funktionalität, sie programmieren wie ein Komponist komponiert oder der Maler malt, und Quellcode ist alles, was sie haben, um ein Kunstwerk zu schaffen. Nur ist nun das Resultat weniger wichtig als der Prozess an sich. So fotografiert das Programm „Deskswap“ des Amerikaners Mark Dagget den Desktop des eigenen Computers ab, sendet ihn an einen Internetserver und importiert die Desktop-Bilder anderer Deskswap-Nutzer aus der ganzen Welt, die dann quasi in einer globalen Diaschau gezeigt werden.

So entsteht ein grenz- und kulturübergreifendes Kunstwerk, dass Einblicke liefert auf die virtuellen Schreibtische von Computer-Nutzern in China, den USA oder Australien. Ein Jahr nach der „transmediale“ ist Dagget neben anderen für seine „nicht-rationale Software“ ausgezeichnet worden: beim in Moskau neu gegründeten „Readme“-Festival, das sich ausschließlich dem jungen Genre der „Softwarekunst“ widmet. Am kommenden Wochenende geht die vierte Ausgabe von „Readme“ über die Bühne, und nach Helsinki in Finnland (2003) und dem dänischen Aarhus (2004) kommt „Readme“ nun nach Deutschland.

Ausrichter ist der Dortmunder Hartware Medienkunstverein, der lustigerweise einen Ort für „Readme“ ausgewählt hat, an dem es sich eher um Buchstaben statt um Quellcodes dreht: Am Freitag beginnt „Readme“ in der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek. Dass ausgerechnet diese Stadt auserkoren wurde, ist kein Zufall: Das Ruhrgebiet sei interessant für „Readme“, so die Macher, da es sich um eine Region handle, die den Wandel von der Industrie- zur Post-Industriegesellschaft symbolisiere.

Rund 100 Konzepte wurden eingereicht, zehn werden am Wochenende gezeigt. Die Quellcode-Frickler arbeiten sich ab an Themen wie Spam, Open Source, Hacking, Outsourcing, Suchmaschinen und Programmieren. In der Arbeit des Moskauer Programmierers Ilia Malinovsky werden die im Computer verborgenen Prozesse hörbar, indem der eingegebene Code in Klänge umgewandelt wird. Und der Titel ist auch für Quellcode-Analphabeten verständlich: „LYCAY – Let Your Code plAY“. Im Gegensatz zu mancher Peformance, die noch zu sehen ist: Yves Degoyon a.k.a. d.R.e.G.S. zeigt sein Meisterstück „/bin/rm -rf /* :: f*** the system“. Man ist gespannt.

Readme 100 – Festival for Software Art an Cultures, 4. + 5. November 2006Dortmund, Stadt- und LandesbibliothekInfo: 0231-823106, readme.runme.org