LeserInnenbriefe
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Verwöhnte Deutsche

betr.: „Die Stimmungskanonen“, taz vom 5. 10. 15

Welche flüchtlinge meint de Maizière eigentlich mit diesen beschreibungen: „undankbar, reich, eigenmächtig und prügelnd“? in dieser ausnahmesituation möchte ich nicht wissen, wie die verwöhnten deutschen mitbürger sich aufführen würden, wo sie bereits ohne druck überall in der welt als die „meckerer“ gelten. hat der politiker schon einmal die freundlichen, traumatisierten menschen in den unterkünften besucht, die sich mehrmals bedanken bei jeder zuwendung? die aber auch zum teil lebendiger, euphorischer in die zukunft blicken als einige deutsche langzeitarbeitslose, die als MAE hier ihren dienst nach vorschrift tun? DAS wird vielleicht einmal problematisch. ich hoffe sehr, dass die vielen menschen hier eine zukunft finden, die sie und uns in jeder hinsicht stärkt. und dem rechtspopulistischen politikern wünsche ich mit ihren überholten ansichten einen sofortigen ruhestand mit ausländischen sozialbetreuern, die ihre meinung über sie revidieren lassen. BIRGIT SCHÖNE, Berlin

Zukunft statt Konsum

betr.: „Flüchtlinge in der Nebenrolle“, taz vom 5. 10. 15

Wegen solcher klugen Kommentare wie von Bettina Gaus lesen wir die taz! Das Mediengeschäft ist so durchschaubar. Nachdem Horror- und Konfliktgeschichten dann durch sind, wird das Pendel vor Weihnachten wieder in die andere Richtung umschlagen. Mit netten Bildern im Kerzenschein.

Es werden schnelle Maßnahmen und Ideen zur Problemlösung gesucht. Wieso nicht noch vor Weihnachten die Mehrwertsteuer im niedrigen Prozentbereich erhöhen und somit anstatt in Konsum in die Zukunft unser Gesellschaft, also Integration der Flüchtlinge, investieren. „Wir schaffen das.“ Es wäre ein Beginn und alle hätten unmittelbar etwas beigetragen.

CHRISTIAN ROSE, Lübeck

Wenn man keine Ahnung hat

betr.: „Kampf um Rom“, taz vom 2. 10. 15

Man kann bekanntlich am sichersten Meinungen vertreten, wenn man keine Ahnung hat. Die Sachsen, bei denen es fast keine Ausländer und nur wenig Christen gibt, wissen, dass das christliche Abendland bedroht ist, und die katholischen Bischöfe, die bekanntlich nicht heiraten dürfen, wissen am besten, was für eine Ehe gut ist. Auf die Bibel können sie sich kaum berufen, denn da heißt es im ersten Brief an Timotheus in Kapitel 3, Vers 2, dass ein Bischof eine Frau haben soll, gemeint dürfte sein: nur eine. Der Zölibat ist auch erst um das Jahr 1000 eingeführt worden, nur bei Bischöfen war die Ehelosigkeit schon länger üblich – wohl als Ergebnis der Christenverfolgungen. Die Ehe, die heute so gepriesen wird, ist eine relativ moderne Erfindung. Die Menschen werden älter, Ehe ist nicht mehr sukzessive Mehrehe, als vor allem Frauen oft im Kindbett starben und die Männer dann erneut heirateten, sondern dauert lange, wenn es gut geht. In 50 oder 60 Jahren ändern Menschen sich aber erheblich, und es ist kein Wunder, wenn aus Liebe Gleichgültigkeit, manchmal sogar Abneigung wird. Wer dann fordert, dass die Ehe heilig bleiben soll, sorgt dafür, dass dann eben neben der theoretisch noch bestehenden Ehe andere Sexualpartner gesucht werden. Hinzu kommt, dass Frauen inzwischen bessere Möglichkeiten der Familienplanung haben – auch eine radikale Änderung der Ehe. Und ganz wichtig ist die Berufstätigkeit der Frauen. Im Extremfall ist die Zusammenarbeit in der Firma oder Verwaltung zeitlich ausgedehnter als der verbleibende private Teil der täglichen Zeit, die die Eheleute für sich und die Kinder haben. Dass es Bischöfe gibt, die das alles nicht sehen oder nicht sehen wollen, ist für einen evangelischen Theologen wie mich schwer verständlich. Ich war bis zum Tod meiner Frau 60 Jahre verheiratet und sehr glücklich, aber als Pfarrer hat man derzeit auch sehr günstige Lebensumstände von der gesicherten und gut dotierten Stelle über das große Pfarrhaus bis zu einer angesehenen Stellung. Dass es für viele anders aussieht, verlangt nicht Kritik und dogmatische Belehrungen, sondern Mitfühlen, Verständnis, Rat und Hilfe.

ULRICH FINCKH, Bremen

Selbst ermächtigte Gesellschaft

betr.: „Ein weißer Tag für die Grünen“, taz vom 2. 10. 15

Da ist viel Akzeptables in einem Moment, da die Meinung in Umfragen zugunsten der Bewahrer unseres Wohlstandes und unserer Zustände kippt. In der sich so schnell verändernden Welt will die Mehrheit hier auf und in dem Gegebenen verharren. Ob uns die Welt diesen Gefallen tut und sich moderater verändern wird?

Peter Unfried repräsentiert mit seinem Plädoyer für Realitätspolitik unsere selbst ermächtigte Bürgergesellschaft. Die zu uns Flüchtenden gehören zur dortigen, gescheiterten Bürgergesellschaft. Wir haben die Chance, „Geschwistern im Geist“ beizustehen. Vereinzelt sind auch uns schreckende Burkaträger darunter, Bewahrer nicht haltbarer Zustände. Wo gibt es die nicht – überall sind sie in der Mehrzahl. Hoffentlich widerstehen die Grünen in ihrer Gesamtheit der Versuchung, auf der Mehrheitswelle zu surfen. In der Wirklichkeit nicht zu scheitern, das wär schon was, und dafür spricht die bisherige Entwicklung.

KLAUS WARZECHA, Wiesbaden