Das Schlimmste war schon

PREMIERE Ängstliche Technik beeinträchtigt das bitterböse und zugleich versöhnliche Kammerspiel „Gift“ im Großen Haus

Wenn er nach links abhaut und ihr im Weggehen noch etwas zuruft, wird er lauter. Wenn sie nach rechts ins Treppenhaus steigt und so tut, als riefe sie den Friedhofsverwalter Herrn Alewijn, von dem sie genau weiß, dass er nicht da sein kann, fällt Susanne Schraders Stimme aus dem Bühnenhimmel herab. Und wenn sie und Frank Seppeler, der den Mann dieses namenlosen Ex-Paars in Lot Vekemans Erfolgsstück „Gift“ spielt, nach hinten weg steigen, aus ihrem erzwungenen, letztlich reinigenden Dialog wieder zurück in ihre längst, seit zehn Jahren fast, getrennten Welten – schwupp sind sie plötzlich lauter.

Immerhin: Die Anlage funktioniert ohne Rückkoppelung. Aber das ist schon das Beste, was sich über die Entscheidung sagen lässt, die Darsteller des Zweipersonen-Dramas mit Headset und Funklautsprechern auszustatten: Einerseits gibt Theater seinen Anspruch auf, den Raum zu besetzen, wenn es per Lautsprecherhomogenisierung alle Tiefe, jede Distanz und jede Annäherung, alle Pegelschwankungen, die sich durch Bewegungen ergeben, einebnet. Andererseits konterkarieren die Mikro-Bügel die Mimik, auf die es doch in einem Kammerspiel ankommt. Und das ist schade, denn Schrader arbeitet durchaus mit ihrem Gesicht. Sie leidet, sie zickt, und plötzlich wetterleuchtet auf eindrucksvolle Weise eine Belustigung um ihre Augen, die sie nach und nach ganz erfasst und sich in einen Lachanfall steigert, bis die Tränen kommen, oh ja, und sie hat genug zu leiden, sie genießt es geradezu, wird Er ihr vorwerfen, ihr Ex: „Leiden macht süchtig, findest du nicht?“, fragt er.

Vekemans hat ihrer „Ehegeschichte“, so der Untertitel des Stücks, alle Zutaten eines häuslichen Zermürbungsdramas gegönnt – und doch etwas ganz anderes geschrieben. Denn die zwei haben das Schlimmste schon hinter sich: Seit ihr Sohn infolge eines Unfalls starb, verkörpern sie einander nur noch eine „gescheiterte Vergangenheit“: Er hat sich ihr durch Flucht in eine neue Existenz entzogen. Sie hat ihn unter dem Vorwand, wegen Umweltgiften müssten die Toten umgebettet werden, und die Gräberverwaltung wolle mit den Angehörigen darüber sprechen, in diese merkwürdige Gesprächssituation gelockt: Der Friedhofs-Wartesaal wird zum Ort der Aussprache und Klärung.

Seppeler und Schrader spielen das wundervoll aus und als glorreich erweist sich Regisseur Samuel Weiss' Idee, das Publikum auf die Hinterbühne des großen Hauses zu setzen, mit Blick auf den Zuschauerraum als Gräberfeld: So viel gutes Schauspiel sollte man sich nicht durch ängstliche Technik verhunzen. bes

Wieder am: 11. 10., 18 Uhr und 5. 11., 19.30 Uhr