Der Staub der 50er

KONVENTIONELLE INSZENIERUNG Die neue Oberspielleiterin Eva Lange inszeniert für die Landesbühne Niedersachsen Nord Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Die Inszenierung verzichtet zwar auf Verzweiflungspathos, präsentiert aber sonst vor allem Psychorealismus mit dem Staub der 50er Jahre

Höchst fidel ästhetische Diskurse der Metropolentheater berücksichtigen, frisch-frech Themen der Zeit aufgreifen, Uraufführungen nicht auf die Nebenbühne abschieben, sondern im großen Stadttheater Wilhelmshaven zelebrieren: Dafür steht Gerhard Hess’ Landesbühne Niedersachsen Nord. Im Sommer verlässt der Intendant das Haus. Die dann neue Oberspielleiterin Eva Lange, eine gebürtige Delmenhorsterin, präsentierte am Tag nach der „Ubu, König“-Uraufführung ein großes Stück im kleinen Haus: Eugene O’Neills autobiografisches Künstlerdrama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“.

Das wortgewaltige Erklär- und Aufdeckungsdrama zerbröselt in langen Gesprächen die Lebensmasken der einander beobachtenden und belauernden Figuren. Zur seelenwunden Selbstdemontage haut sich das Personal bis zur Erschöpfung das eigene Scheitern um die Ohren und vergisst dabei nicht die gegenseitigen Schuldvorwürfe für das Leiden aneinander, an sich selbst und der Welt. Die Wahrheit liegt auf der Zunge – Folgen im Handeln hat sie nicht. Alkohol-, Morphium- und Schwindsucht sind die Symptome, die den Lebensüberdruss ins Pathologische verschieben. Irgendwann senkt sich erlösend der Vollrausch über das Geschehen.

Warum das anno 2013 aufführen? Es gibt Rollenansprüche älterer Darsteller zu bedienen? Ein Lichtdesigner möchte das Theater mal im schönsten Fegefeuerschein erglänzen lassen? Ein entfesselt virtuoses Ensemble soll gefeiert werden, das die seelischen Abgründe der Abrechnungsschlacht ohne Larmoyanz auslotet, zwischen Wut und Wahn im herzblutüberlaufenden Suffgebrüll auch noch eine gehörige Portion Witz aufblitzen lässt? Oder gibt’s eine aktuelle Interpretation?

Erstes wissen wir nicht, Zweites scheint nicht gewollt, Drittes hat Wilhelmshaven nicht, Viertes bleibt unkenntlich. Eva Lange kürzt das Stück zwar geschickt, holt die Figuren von vorgestern mit entsprechender textiler Gewandung stärker ins Heute, verzichtet auf Verzweiflungspathos, spielt Rainald Grebes Lied „Das psychologische Jahrhundert ist vorbei“ ein, inszeniert aber Psychorealismus mit dem Staub der 50er Jahre. Am Bühnenrand wird Zwiebel um Zwiebel, Schale um Schale gepellt – auf der peergyntisch vergeblichen Suche nach dem Kern. Aber auf der Bühne ist die Identitätsfrage nicht existenziell herausgearbeitet.

Zwei Regieideen fallen auf. Obwohl die Hausangestellte kaum Text und Auftritte hat, lungert sie (mit intensiver Präsenz: Aida-Ira El-Eslambouly) stets neben dem Bühnenpodest herum, passiv zwar, aber doch als Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt. Zudem lässt Lange einen schwarzen Vorhang immer wieder mal vors Bühnengeschehen ziehen. Nicht klar wird, warum gerade an dieser und jener Stelle des Zuschauers Voyeurismuslust gekitzelt wird. Was angesichts des äußerst wackeligen Vorhanggestells allerdings auch gedeutet werden könnte als Aussage über den labilen Zustand des gegenseitigen Verbergens und Vertuschens. Wohin die Landesbühnen-Reise mit Eva Lange gehen wird, verrät diese ansonsten sehr konventionelle Inszenierung leider noch nicht.  JENS FISCHER

■ Papenburg: Sa, 19. 1., 19.30 Uhr, Theater auf der Werft, Ölmühlenweg 9; Wilhelmshaven: Fr, 25. 1., Sa, 9. 2., So, 10. 2. und Mi, 27. 2., je 20 Uhr, Rheinstraße 91; Leer: Do, 14. 2., 19.30 Uhr, Emsaula, Blinke 39