Kunstrundgang
: Harald Fricke schaut sich in den Galerien von Berlin um

Jörg Immendorff: High Plain Drifter, bis 12. 11., Di bis Fr 10–18 Uhr, Sa 11–17 Uhr, Contemporary Fine Arts, Sophienstraße 21

Die Pleite ist überall: am U-Bahnhof Jannowitzbrücke, in Kreuzberg unter den Brücken am Gleisdreieck. So nimmt man Öffentlichkeit in Beschlag, da haben die Kunst-Werke gemeinsam mit Katharina Sieverding im Rahmen ihrer Retrospektive „Close Up“ ganze Arbeit geleistet. Denn das Plakat mit der entsprechenden Aufschrift und einer Sonnenfinsternis im Hintergrund ist zum Symbol für die Berliner, wenn nicht bundesdeutsche Gegenwart geworden, ein wenig wie das weit leuchtende Wort „Zweifel“, das Lars O. Ramberg auf dem Palast der Republik installiert hatte. Dass Sieverding ihre Bildpolitik stets konsequent betreibt, kann man auch in der über alle vier Stockwerke ausgebreiteten Ausstellung in den Kunst-Werken sehen. Die untere Halle ist zu einem aufregenden Dia-Showroom umgebaut, in dem Konterfeis der Künstlerin mit denen ihres Partners Klaus Mettig travestieartig verschmelzen. Ansonsten: Serien, Details, Weltdeutungsszenarien und Videos – immer entlang an wechselnden Selbstporträts von Sieverding. Nicht maßlos, sondern maßgebend.

Ein spindeldürrer Knabe trabt durch eine Landschaft aus grauen Flächen, die von fern her an eine Luftaufnahme erinnert. Ein Skelett starrt auf einen Menschen mit zwei Köpfen, der auf einer Holzbahre liegt. Es sind barocke Totenszenen, obwohl ihr Schöpfer ein Romantiker geblieben ist, ein „High Plain Drifter“, wie es im Ausstellungstitel heißt. Jörg Immendorff musste die Fertigstellung der neuen Bilder delegieren, so sehr lähmt ihn bereits seine ALS-Erkrankung. Was ihm bleibt, ist die Auseinandersetzung mit der Kunsthistorie, die er im Kopf betreibt. William Hogarth, Polke, manchmal auch Joseph Beuys, der große Abwesende, der doch immer anwesend ist – bei Immendorff ebenso wie bei Sieverding. Beide waren seine Schüler, beide sind noch nicht Geschichte.

Katharina Sieverding: Close Up, bis 27. 11., Di bis So, 12–19 Uhr, Kunst-Werke, Auguststraße 69