Ständig werde ich von Algorithmen begrabbelt. Wer zieht sich das eigentlich alles rein?
: An meinen Big-Data-Sachbearbeiter

Foto: Jonas Maron

Erwachsen

von MartinReichert

Wer wie ich Facebook, Google und Co benutzt, ist ein Arsch mit Ohren, der seine persönlichen Daten freiwillig Großkonzernen und Geheimdiensten überantwortet. Stichwort: Big Data, also eine Sache, mit der man sich lieber gar nicht beschäftigt, wenn man ruhig schlafen will. Ja, Stephen Haw­king hat unlängst gesagt, dass die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz die größte Gefahr für die Menschheit ist – aber mein Vater hat schon vor dreißig Jahren gesagt, dass das Internet nicht nur eine Gefahr für die Menschheit darstellt, sondern sogar den deren Untergang sei.

Aber gut: Vor dreißig Jahren hätte ich – wenn ich Ostdeutscher gewesen wäre – womöglich eine Stasiakte gehabt. Fein säuberlich und ordentlich geführt von einem Sachbearbeiter. Vielleicht hätte man Menschen aus meinem Freundeskreis oder meiner Familie bemüht, Auskunft über mich zu geben. Höchstpersönlich.

Und heute? Wird man ununterbrochen von sogenannten Algorithmen begrabbelt. Dank meines Smartphones kann man all meine Schritte nachvollziehen, dank Google sind meine Krankheiten („Nebenhöhlen verstopft Frag Mutti“) und Lüste („tumblr things my dick does“) wohlbekannt, dank Facebook mein soziales Umfeld. Aber wem eigentlich? Es ist eigentlich kränkend, denn mit meinen Daten ist es noch schlimmer als mit meiner Magisterarbeit, die wenigstens der Assistent meines Professors (hoffentlich) gelesen hat: Es gibt nicht mal einen Sachbearbeiter, der sich dafür interessiert. Stattdessen ist man nur ein kleiner Tropfen im Ozean des Datenstroms, der von dunklen Mächten ausgewertet wird. Persönlich ist da nur die Werbung, die aufgrund der individuellen Datengemengelage aufpoppt. Weil in meinem privaten und beruflichen Umfeld Homosexuelle leicht überrepräsentiert sind und ich zum Thema LGBTI auch recherchiere, bekomme ich zum Beispiel seit Jahren Dildo-Werbung. Hätte ich nur einen Bruchteil der sexualisierten Waren erworben, die mir digital angeboten wurden, könnte ich heute ein Porno-Museum eröffnen.

Nun frage ich mich, wie man diese Algorithmen-Sachbearbeiter austricksen kann. Was wäre zum Beispiel, wenn ich über einen gewissen Zeitraum bloß noch die Begriffe „Helene Fischer“ und „Motorsäge“ google? Ein befreundeter Experte winkt ab: Er sagt, dass ich dann auch meine Freunde bei Facebook dazu bringen müsste, ständig zum Thema „Helene Fischer“ und „Motorsäge“ zu posten und auch entsprechend zu googlen – erst dann hätte ich eventuell eine Chance, in eine andere Zielgruppe zu kommen. Googlet man aber „Helene Fischer“ und „Motorsäge“, stößt man lediglich auf einen einzigen Artikel darüber, wie einst ein Konzert besagter Chanteuse abgesagt werden sollte, weil das Mitsingen der Fans die Lautstärke einer Kettensäge überträfe.

Es nützt alles nichts – das macht auf Dauer keiner mit. Womöglich also gibt es nur eine einzige Möglichkeit, die Daten-Mafia schachmatt zu setzten: Selfgoogling, rund um die Uhr. Eine Facebook-Gruppe mit meinem eigenen Namen habe ich auch gegründet – zwei andere haben schon zugesagt.

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