Klebesterne am Horizont

Zeitlos, abwartend, wunderbar: Till Endemanns Debüt- und Episodenfilm „Kometen“ (22.30 Uhr, SWR)

Ein Mann redet mit einer Ziege. Der Mann lacht. Er hat gerade einen Kometen gefunden, irgendwo auf der anderen Seite seines Teleskops. Er hat seinem kleinen Leben ein kleines Stück Unsterblichkeit geschenkt. „K7C-Kranich“ wird der 15 Millionen Kilometer entfernt mäandernde Himmelskörper von nun an heißen. Kranich ist der Name des Mannes, Manfred Kranich. „Herr Kranich“ sagt der junge Student aus dem Planetarium, „Manni“ nennt ihn der Nachbar in der Kleingartenkolonie. „Eine Zumutung sei er, der Manni“, sagt der Nachbar noch.

Schweinsohr statt Torte

Ein Mädchen radelt durch eine Einkaufsstraße, den Walkmanhörer unter der tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze. Das Mädchen hat morgen Geburtstag. Der Vater hat ihr eine Torte versprochen. Aber der Vater kann gar nicht backen, wie er überhaupt das Vatersein nicht besonders gut beherrscht. In einer Bäckereifiliale kauft er ein halbes Graubrot und zwei Schweinsohren.

Die junge Frau aus dem Backshop trifft den jungen Mann aus dem Planetarium. Beide sind ein Paar, bald eine Familie. Der junge Mann hätte das Bett zusammenschrauben sollen und die alten Tapeten entfernen, in der neuen Wohnung. Er hat nur ein paar fluoreszierende Sterne an die Decke geklebt. Die leuchten nun im Dunkeln, fast so wie K7C-Kranich, der Komet.

Ein junger Regisseur hat einen Episodenfilm gedreht, fünf oder sechs in sich verwobene Kurzgeschichten. Hat zu eindrücklichen Bildern gefunden, für den fernen Kometen und die nahen Verhältnisse. Für den Unternehmensberater, dessen seriöser Dreiteiler genauso geleast aussieht wie das anthrazit-graue BMW-Cabrio. Für die beiden Alten, deren Gesichter sich schwach in der Eichenvertäfelung des Seniorenheimspeisesaals spiegeln. Für die Hölle Pubertät, aus der es kein Entrinnen gibt. Nicht mit Schaumwein, nicht im Chatroom – der einzige ziemlich modische Einfall eines ansonsten zeitlosen Drehbuchs. Trotz seiner Vielheit an Aktionen und Akteuren ist Till Endemanns „Kometen“ ein ruhiger, abwartender Film geworden. Und auch ein selbstbewusster, gewiss. Großes Kino auf diesem kleinen Sendeplatz. Mit Boris Alinovic und Barnaby Metschurat, um exemplarisch zwei aus einem unaufgeregt agierenden Ensemble zu nennen.

Motorrollerfahrtins Finale

Till Endemann brüllt nicht, wo doch die Krisen und Kollisionen seiner Protagonisten zum Schreien sind. Sein Erzählstil bleibt lakonisch, seine Kamera zurückhaltend, seine Motive deutlich gezeichnet und klar strukturiert. Der Regisseur und gleichzeitige Drehbuchautor hat ein Faible für die Farben, malt kaltwarme Bilder in Krankenhausweiß und Geburtstagstortenkerzengelb, arrangiert sorgsam und doch nicht manieriert. Als Pause, als lakonische Lehrstelle inszeniert Endemann denn auch das leise Finale eines beeindruckend unbeeindruckten „Debüts im Dritten“. Dabei hätte man eine kurze, beschleunigte Motorrollerfahrt lang denken können, dass alles ganz anders kommt, dass hinter der nächsten Kurve doch die Katastrophe lauert. C. NIEDENTHAL