Wenn ein Arschloch die Dinge anders sieht als man selbst, sollte man trotzdem – weiterradeln
: Blaffende Carbonhelme

Foto: Ute Mahler/Ostkreuz

Zumutung

von Anja

Maier

Liebe Radfahrer, ihr müsst jetzt mal tapfer sein. Und ja, es tut mir auch leid, das sagen zu müssen. Denn he, ich bin ja selbst eine von euch (also von uns – oder wie formuliert man das jetzt?). Aber unter euch gibt’s echte Arschlöcher. Also unter uns. (Aber nee, zu denen will ich nicht gehören. Also unter euch. Unter euch: Arschlöcher.)

Zugegeben, ich bin jetzt keine Radlerin der gehobenen Sorte. Nur so eine strunzlangweilige Pedaltreterin. Ohne Helm. Ohne atmungsaktive Wetterjacke. Ohne wetterfeste Fahrradtasche.

Ihr würdet vielleicht auch sagen: ohne geiles Rad. Aber das bestreite ich. Mein zwanzig Jahre altes Peugeot ist ein blauer Freund, mit dem ich durch Berlin kreuze. Es wartet treu an allen S-Bahnhöfen, und wenn vor mir auf der Straße eine Armada amerikanischer Beachbike-Touristen gemütlich ihre Bahn zieht, genügt ein Griff zur Gangschaltung – und schon segle ich an denen vorbei.

Ein Arschloch aber hat das gestern offenbar anders gesehen. Ich segelte also eine verkehrs­arme Nebenstraße entlang, als mich das Rennrad-Arschloch schnitt und mich unter dem Carbonhelm hervor anblaffte. Und ich Blödi hab’s nicht verstanden und frage auch noch: „Wie bitte?“ Woraufhin mich das Arschloch – von dem ich ja noch nicht wusste, dass es eins ist – in feinstem Volkspolizisten-Sprech aufklärte, er habe hundert Meter zuvor seinen „Richtungswechsel ordnungsgemäß angezeigt“, ich hingegen nicht.

Das jedoch schien den Anforderungen des Genossen Arschloch nicht zu genügen. Er setzte nun zu einem längeren Vortrag des Inhalts an, dass der Untergang dieses Landes unmittelbar bevorstünde, weil „Arschlöcher wie du“ … Na ja, egal. Setzt hier einfach einen Textbaustein ein. Irgendwann war es auch mal gut und ich machte mich daran, meine Fahrt fortzusetzen. Dem wütenden Gesellen gefiel das nicht. Er überholte mich erneut – das kostete ihn vermutlich nicht mal einen Tick an der Gangschaltung – und fuhr nun vor mir her.

Ich war froh. Ich hatte mich nicht herausfordern lassen. Hatte nicht gelacht über den kleinen Kerl. Mich nicht geärgert. Tschüss, dachte ich gerade, als er bei seinem windschnittigen Rad voll in die Bremsen ging.

Mein Bremsweg war natürlich etwas länger, das Peugeot ist ja nicht mehr das jüngste. Einen Millimeter vor Arschlochs Hinterrad kam ich zum Stehen. Wären wir in einem Western, würde ich sagen: Ich blickte in seinen Gewehrlauf. Und ja, leider, jetzt entfuhr es mir auch, das Wort. Arschloch. „Sie Arschloch“, um genau zu sein.

Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass das Arschloch freudig seine Zähne bleckte. Und ja, ich war jetzt richtig sauer. Man kann sich das vornehmen: ruhig bleiben. Aber es wird halt leider nix draus, wenn der andere gern Stunk hätte. Wenn er jemanden braucht, der sich auch ärgert.

Es bleibt ja doch ohne jeden Effekt. Werde ich künftig meinen „Richtungswechsel ordnungsgemäß anzeigen“? Werde ich ausrastenden Arschlöchern verständnisinnig die Hand auf den Unterarm legen? Werde ich es leicht nehmen, angepöbelt zu werden? Nein. Leider. So ein Arschloch!

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