Volksreden

Die Stimmung dreht sich. Immer mehr Politiker sehen in den Flüchtlingen nicht eine Bereicherung, sondern eine Überforderung

Merkels Willkommen wird einsamer Ruf

Asylbewerberzahlen Auch in der SPD mehren sich die Stimmen, die in der Ankunft der vielen Flüchtlinge vor allem ein Problem erkennen. Die Bundeskanzlerin bleibt trotz scharfer Kritik in der Union bei ihrer Position

„Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich“

Bundespräsident Joachim Gauck am Tag der deutschen Einheit

Aus Berlin Tobias Schulze

Das Transparent hängt noch. Lila Hintergrund, rotes SPD-Logo, weiße Aufschrift: „Deutschland heißt Willkommen“. Die Sozialdemokraten haben die Botschaft über dem Eingang des Willy-Brandt-Hauses angebracht, als die Deutschen vor vier Wochen mit Schildern und Schokolade in die Bahnhöfe strömten. Sie haben es hängen lassen, als den ersten Kommunen im September die freien Feldbetten ausgingen. Und das Banner hat auch dieses Wochenende überlebt, an dem führende Genossen das Ende der Willkommenskultur einläuteten.

„Wir nähern uns in Deutschland mit rasanter Geschwindigkeit den Grenzen unserer Möglichkeiten“, sagte Parteichef Sigmar Gabriel Spiegel Online. „Wir sind am Limit“, sagte Fraktionsvize Axel Schäfer der Süddeutschen Zeitung. „Die Kanzlerin muss deutlich sagen, dass mit einer Million Flüchtlinge in diesem Jahr unsere Möglichkeiten bei der Aufnahme nahezu erschöpft sind“, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann. Seine Forderung: Deutschland müsse dringend die Botschaft senden, dass es „allein nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann“.

Am Tag der Deutschen Einheit ist damit die seltsame Situation eingetreten, dass die SPD-Spitze die Bundeskanzlerin rechts überholt hat – zumindest in der Flüchtlingsfrage. Angela Merkel widersprach am Samstag nämlich ihren Kritikern und verteidigte erneut ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik.

„Ich glaube, dass man Menschen, die zu großen Teilen aus einer Notsituation kommen, freundlich ‚Willkommen‘ sagen sollte“, sagte sie im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ihre Entscheidung von Anfang September, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, würde sie heute „wieder so treffen“.

Eine beinahe zwangsläufige Aussage. Würde Merkel einräumen, dass sie falsch entschieden hat, würde sie schließlich vor ihren größten Kritikern einknicken – und die befinden sich derzeit weder in der SPD noch in der Opposition, sondern in der Union selbst. Es ist vor allem die CSU, die von Merkel seit Wochen fordert, ihren Kurs zu ändern.

Am Samstag verschärften die Christsozialen ihren Ton erneut. „Wir fordern eine massive Begrenzung der Zuwanderung. Ich bin überzeugt, dass die kommen wird. Ebenso werden wir über das Grundrecht auf Asyl reden“, sagte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) der Passauer Neuen Presse. Er forderte eine feste Obergrenze für Zuwanderer und schlug vor, die deutsche Grenze mit Zäunen zu sichern.

Sein Parteichef wies diese Forderung zwar zurück, blieb aber bei seiner generellen Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. „Wir haben die Kapazitätsgrenze erreicht, mehr geht nicht mehr“, sagte Horst Seehofer im Bayerischen Fernsehen. Wenn es nicht gelinge, die Zuwanderung zu begrenzen, dann drohe vor dem Winter ein „Kollaps mit Ansage“.

Sollte die CSU mit solchen Aussagen vor allem auf Wählerstimmen abzielen, scheint ihr Kalkül aufzugehen. In einer Umfrage der ARD stiegen Seehofers Beliebtheitswerte zuletzt um 11 Prozentpunkte. Nach den Niederlagen bei Maut und Betreuungsgeld können die Christsozialen mit der Flüchtlingsfrage nun wieder ein Thema gefunden haben, mit dem sie punkten können. Mit Merkels Arbeit sind gleichzeitig nur noch 54 Prozent der Deutschen zufrieden – so wenige waren es letztmals vor vier Jahren.

Und als reiche all das nicht aus, legte am Samstag auch noch der Bundespräsident nach. „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich“, sagte Joachim Gauck. Unterstützung für Merkel klingt anders.