Berlinmusik

Unerhörte Vielfalt

Russen und Ukrainer sind sich ja nicht eben grün dieser Tage. Die Ungarn sperren ihre Grenze nach Serbien ab. Die Polen nehmen jetzt vielleicht sogar Flüchtlinge auf, die aus Mazedonien kommen. Immerhin auf „10 ­Years Eastblok Music“ finden all diese Länder friedlich zusammen. Und nicht nur die: Mit auf der Compilation auch Watcha Clan aus Frankreich und Figli De Madre Ignota aus Italien, Slavic Soul Party aus New York und Dunkelbunt aus Hamburg.

Der völkerverbindende, kleins­te gemeinsame Nenner: Balkanbeats. Wenn man die das Jubiläum des Berliner Labels Eastblok feiernde Doppel-CD hört, merkt man schnell, dass sich unter dem Sammelbegriff eine unerhörte Stilvielfalt versammelt. Natürlich wird da lustig gehüpft und geblasen, gern gibt die Tuba den Takt. Aber längst, das haben die beiden Labelmacher, Alexander Kasparov und Armin Siebert, bereits bewiesen, bedeuten Balkan­beats mehr als Russendisko. Parov Stellar aus Österreich verpackt an osteuropäische Volksweisen angelehnte Melodien in treibenden Electroswing, die russischen Markscheider Kunst verwandeln mit Hilfe karibischer Rhythmen Wodka in Rum, und Di Meschugeles aus Berlin spielen eine absurd ansteckende Mischung aus Klezmer und Ska. Ziemlich irre, wie anpassungsfähig die Rhythmen aus dem Osten sind, so wie die Auswanderer, die sie in die ganze Welt getragen haben.

Nicht gen Osten, sondern in die entgegengesetzte Richtung orientiert sich das Berlin Boom Orchestra. Die Band spielt auf dem neuen Album „Kopf, Stein, Pflaster“ einen mal flotten, mal entspannten Roots Reggae, der die elektronischen Entwicklungen Jamaikas ignoriert. Stattdessen warme Bläser, und ein satter Bass, der um das stoische Schlagzeug turnt. Vor allem aber: Texte, die die katho­lische Kirche kritisieren, Stellungnahme ­gegen Rassismus und Nationalismus. Kaum jemandem gelingt so überzeugend der Spagat zwischen ernsten ­Inhalten und partytauglicher Musik. In „Collie Contemplation“ spricht sich Sänger Filou sogar gegen die Legalisierung von Haschisch aus. Das allerdings zieht einen Zaun zwischen das Berlin Boom Orchestra und dem Rest der Reggae­szene, so hoch könnten den nicht mal die Ungarn errichten.

Thomas Winkler

„10 Years Eastblok ­Music“ (Eastblok Music/Indigo), Record-Release-Party, 3. 10., Hangar 49

Berlin Boom Orchestra: „Kopf, Stein, Pflaster“ (Springstoff/Indigo), Record-Release-Party, 3. 10., Badehaus Szimpla