Spitzel, die Sie kennen sollten

Undercover Enttarnt, verbrannt, verraten – Polizeispitzel in sozialen Bewegungen sind bei Weitem keine Hamburger Besonderheit. Immer wieder schafften es spektakuläre Fälle in die Schlagzeilen

Mit solcher Maskerade wäre „Alf, das Huhn“ schneller enttarnt worden. Auf Demonstrationen gegen Massentierhaltung aber hätte man den verdeckten Ermittler treffen können  Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Natürlich: „Alf, das Huhn“. Wie könnte die Geschichte der bundesdeutschen Polizeispitzel ohne diesen legendären Mann geschrieben werden? Als der Polizeibeamte mit dem großartigen Spitznamen sich 2012 in Bremen in die Tierrechtsszene ein­schlich, sollte er offenbar erkunden, was einige radikale Gruppen in Niedersachsen so trieben. Kein Wunder: Auf dem Land wurden immer mehr Mastfabriken gebaut – und ab und an gingen welche in Flammen auf. Doch der Beamte konnte nicht allzu lange die Szene erkunden: Als er einmal Besuch von seinen neuen Aktivistenfreunden erhielt, so berichteten diese es zumindest anschließend, wollen sie bei ihm nicht nur einen Hund im Zwinger gefunden haben, sondern auch noch Fleisch im Kühlschrank. Für einen radikalen Tierbefreier dann wohl doch zu schwere Kost. „Alf, das Huhn“ war geliefert. Sein Einsatz beendet.

In Heidelberg war zuvor der Polizeispitzel mit dem Tarnnamen „Simon Brenner“ aufgeflogen. Er war in die antifaschistische Szene Heidelbergs eingeschleust worden. Angeblich soll er konkret auf eine Person angesetzt gewesen sein, bei der zuvor Molotow-Cocktails gefunden worden sein sollen. Tatsächlich war er allerdings weniger mit dieser Person unterwegs, sondern in der gesamten linken Szene Heidelbergs. Unter anderem fuhr er mit einer Studentengruppe auch zu einer Veranstaltung der Linksfraktion nach Berlin. Die gab sich nach Brenners Enttarnung empört – sie hatte sich an seinen Fahrtkosten beteiligt und verlangte nun das Geld zurück. Den Spitzel, der einen ausspioniert, auch noch bezahlen? Das ging nun wirklich zu weit.

Umfassend aufgeklärt wurde der Fall so wenig wie zahlreiche andere. In der Regel sind es Aktivistinnen und Aktivisten selbst, die die Enttarnungen durchführen und Rechercheergebnisse liefern. Wie groß das Phänomen verdeckter Ermittler in linken (wie auch rechten) Kreisen ist, lässt sich äußerst schwer sagen. Immerhin entschied im Fall Simon Brenner im August das Bundesverwaltungsgericht in Karlsruhe: Der Einsatz war rechtswidrig. Im rechtlichen Graubereich bewegen sich derartige Einsätze zwangsläufig – oder klar in der verbotenen Zone. So haben verdeckte Ermittler auch immer wieder Ausflüge in den rechtlich eigentlich strikt geregelten Raum unternommen, bis hinein ins Sexualleben von Ausgespähten.

Besonders spektakulär ist der Fall einiger britischer Spione der London Metropolitan Police, die quer durch Europa Aktivistinnen und Aktivisten überwachten. So war etwa der britische Polizeispion Mark Kennedy in zahlreichen europäischen Ländern unterwegs, half 2007 tüchtig mit bei der Organisation der Proteste gegen den G8-Gipfel im mecklenburg-vorpommerschen Heiligendamm und besuchte immer wieder vermeintliche Gesinnungsgenossen in Berlin. Unter anderem hatte er eine persönliche und sexuelle Beziehung mit einer Aktivistin, die im Januar 2015 ausführlich in der taz über die Erfahrung berichtete. Ein anderer britischer Spion bekam sogar ein Kind mit einer Aktivistin in England – und verschwand plötzlich spurlos aus deren Leben.

Bis heute versuchen diese Aktivistinnen in Großbritannien und weitere Betroffene in Deutschland die Aufklärung dieser wohl beispiellosen Spitzelaffäre voranzubringen. Von deutscher Seite – etwa seitens der Bundesregierung – wurde bislang jedoch das Geheimhaltungsinteresse meist höher bewertet als der Grundrechtsverstoß, der mit diesen Maßnahmen einherging. Martin Kaul