MEIKE LAAFF ÜBER NULLEN UND EINSEN ES HEISST, MAN SOLLE NICHT DARÜBER SCHREIBEN, WENN SICH JEMAND UMBRINGT. FALSCH. MAN HÄTTE SCHON VIEL FRÜHER SCHREIBEN SOLLEN: Vergilbte Ausdrucke eines vergangenen Lebens
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Aaron Swartz ist tot. Seit fast einer Woche schon. Aber noch immer sind die Blogs, die ich lese, und meine Twitter-Timeline voll von Nachrichten über ihn. Es ist bewegend, zu beobachten, wie die bedeutendstenKöpfe der US-Internetszene um Swartz trauern – von Cory Doctorow über Lawrence Lessig bis hin zu Brewster Kahle. Tim Berners-Lee nannte Swartz in einem Nachruf „wise elder“. Einen weisen Altvorderen. Mit 26.
Es heißt, man solle nicht darüber schreiben, wenn sich jemand umbringt. Pietät, Nachahmer vermeiden und so weiter. Was soll man auch schon schreiben?
Dass er ganz offenbar ein außerordenlicher Hacker und digitaler Freiheitsaktivist gewesen ist zum Beispiel. Viele haben so über ihn berichtet. Über den begnadeten Programmierer, das Wunderkind, das schon mit 14 an RSS mitprogrammierte, später Reddit.com mitgründete und die Creative-Commons-Bewegung entscheidend mitprägte.
Vor allem aber sollte man über den Prozess schreiben, der Swartz vorbestand. Über die bis zu 35 Jahre Haft, die ihm drohten, weil er über das Netzwerk des Massachusetts Institute of Technology Millionen wissenschaftlicher Artikel aus einem kostenpflichtigen Archiv geladen haben soll. 35 Jahre für einen Informationsfreiheitsenthusiasten, dem man ziemlich glaubhaft abnehmen kann, dass er damit keinen florierenden Handel betreiben wollte. 35 Jahre plus Geldstrafe. Das wäre wesentlich mehr als man für gravierende Gewalttaten bekommt. Auch wenn das Verfahren posthum eingestellt wurde, die Staatsanwältin nun sagt, sie hätte Swartz nur für sechs Monate ins Gefängnis stecken wollen: Darüber sollte man schreiben.
Beziehungsweise: darüber hätte man besser schon viel früher schreiben sollen. Auch ich zum Beispiel – denn auch auf meinem Schreibtisch gammeln vergilbte Ausdrucke über Swartzs Geschichte schon seit über einem Jahr vor sich hin. Sie aufgeschrieben habe ich nicht.
Der aktuelle Aufschrei gegen dieses ganze Verfahren gegen Swartz und dessen Unverhältnismäßigkeit ist nicht falsch. Er kommt nur zu einem Zeitpunkt, wo es nicht nur darum geht, was Swartz getan hat und wie das von Gerichten und Gesellschaft zu bewerten ist, sondern eben auch um die Frage, ob der bevorstehende Prozess einen talentierten, engagierten jungen Menschen, der nach eigenen Angaben mit Depressionen kämpfte, das Leben gekostet hat. Genau diese Frage öffentlich zu diskutieren finde ich allerdings weder sinnvoll noch angemessen. Eher behindert sie einen sachlichen Diskurs über das Anliegen von Swartz.
Oft ist nun Swartzs Bild in Blogs neben denen des inhaftierten Wikileaks-Informanten Bradley Manning veröffentlicht worden. Swartz als Märtyrer? Wohl ist mir bei diesem Vergleich nicht. Die kluge US-Forscherin Danah Boyd hat geschrieben, es wäre falsch, Swartz zum heroischen Einzelkämpfer zu machen – weil genau das ihn verletzlich gemacht habe. Richtiger sei es, sich an ihn als jemanden zu erinnern, der andere ermächtigte, selbst aktiv zu werden, mit anderen kooperierte. Und das als Basis für Wandel und Aktivismus zu begreifen.
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