Verteilungskampf

Die einen wollen weniger Flüchtlinge im Land, die anderen mehr finanzielle Mittel, um sie versorgen zu können

Europa macht dicht

Krisentreffen EU-Staats- und Regierungschefs geben Startschuss für ein gigantisches Abschottungsprogramm. Auch die humanitäre Hilfe soll die Menschen fernhalten

Improvisiertes Regencape: Ein afghanischer Flüchtling in Athen Foto: Thanassis Stavrakis/ap

AUS BRÜSSEL Eric Bonse

Nach dem Gipfel ist vor der nächsten Krise. Kaum dass sich die 28 Staats- und Regierungschefs der EU am Mittwoch auf einen Neustart in der Flüchtlingspolitik verständigt hatten, gab es am Donnerstag schon neuen Ärger. Das EU-Mitglied Kroatien und der Beitrittskandidat Serbien lieferten sich heftige Wortgefechte, Ungarn drohte erneut mit der Abschiebung von Flüchtlingen nach Deutschland.

Überraschend ist das nicht: Kanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen hatten sich alle Mühe gegeben, die inner­europäischen Konflikte unter den Teppich zu kehren. Sie bekräftigten den Beschluss zur Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen – blieben aber eine Antwort auf die Frage schuldig, wie der Verschiebebahnhof organisiert werden soll.

Das werde man später sehen, wenn die neuen „Hotspots“ in Italien und Griechenland ihre Arbeit aufnehmen, heißt es in Brüssel. Ende November soll es so weit sein. Dann müssen sich alle Flüchtlinge in den neuen Auffanglagern registrieren und weiterschicken lassen – entweder in ein EU-Aufnahmeland oder per Abschiebung zurück in die Heimat. Dann ist es wohl auch vorbei mit der Quasi-Reisefreiheit für die Neuankömmlinge in der EU.

„Wir müssen unsere Politik offener Türen und Fenster korrigieren“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. „Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Land“, ergänzte Kanzlerin Angela Merkel. Zwar müssten alle Neuankömmlinge menschlich behandelt werden. Es gebe jedoch keine Wahlfreiheit.

Künftig soll sich der Blick auf die EU-Außengrenzen und den Krisenbogen richten, der sich von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis in die Türkei spannt. Die Grenzen werden aufgerüstet; die EU macht die Grenzschutzagentur Frontex und die Polizisten von Interpol mobil. Sie sollen mehr Geld und mehr Personal bekommen und nationale Behörden unterstützen. Es könnte der Anfang für eine EU-Grenztruppe sein.

Gleichzeitig will die EU ihre Nachbarstaaten in eine Art Pufferzone verwandeln. Von einem „Ring von Freunden“, wie es noch unter Ex-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hieß, spricht man in Brüssel schon lange nicht mehr. Nun gilt es, den Feuerring, der sich bis in die Ukraine erstreckt, abzuriegeln. Vor allem der Türkei kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird deshalb Anfang Oktober mit allen Ehren in Brüssel empfangen.

„Es gibt keinen ­Anspruch auf ein bestimmtes Land“

KanzlerIN Angela Merkel

Weniger Glück haben die Politiker des Nahen Ostens und Afrikas: Sie müssen sich mit neuen Milliardenhilfen zufriedengeben, mit denen sie die Lage in den Flüchtlingslagern verbessern und die Fluchtursachen bekämpfen sollen. 1 Milliarde Euro ist für das UN-Welternährungsprogramm und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gedacht. Weitere 1,8 Milliarden Euro sollen nach Afrika fließen.

Dies alles ist erst der Anfang eines gigantischen Abschottungs- und Eindämmungsprogramms. Vor den Toren Europas warteten noch Millionen Menschen, warnte Tusk. Die Krise werde Europa noch viele Jahre beschäftigen. „Wir haben jetzt einen ersten Schritt gesehen, aber wir sind noch lange nicht da, wo wir hinkommen müssen“, sagte auch Merkel in ihrer Regierungserklärung in Berlin. Neben einer dauerhaften Quote seien auch schärfere Kontrollen an den Außengrenzen nötig.

Aus dem EU-Parlament und von Menschenrechtsorganisa­tio­nen kam scharfe Kritik an den EU-Beschlüssen. „Die notwendigen Reformen, eine Ablösung des gescheiterten Dublin-Systems oder sichere Zugangswege wurden nicht thematisiert“, sagte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Barbara Lochbihler.