Großbritannien

Jeremy Corbyn ist neuer Labour-Chef. Weil er als scharf links gilt, ­befürchten Kritiker, dass die Partei nun für viele unwählbar wird

Labour wird wieder links

Corbynmania Am Samstag ist der Sozialist Jeremy Corbyn auf einem Sonderparteitag in London haushoch zum neuen Chef der britischen Labour-Partei gewählt worden. Der 66-Jährige erhielt 59,5 Prozent der Stimmen

DUBLIN taz | Am Ende war es deutlicher als erwartet: Jeremy Corbyn vom linken Parteiflügel ist mit 59,5 Prozent zum neuen Chef der britischen Labour Party gewählt worden. Das Ergebnis wurde am Samstag auf einem Mini-Parteitag bekanntgegeben. Seine Konkurrenz hatte keine Chance: Andy Burnham kam auf 19, Yvette Cooper auf 17 und Liz Kendall auf 4,5 Prozent. Alle drei sind rund 20 Jahre jünger als der 66-Jährige und gehören New Labour an, dem konservativen Parteiflügel.

„Die Tories haben die Wirtschaftskrise dazu benutzt, den Armen die Austerität aufzubürden“, sagte Corbyn nach seiner Wahl. „Das ist falsch und muss geändert werden. Wir müssen die groteske Ungleichheit in Angriff nehmen.“ Corbyn versprach, dass seine Partei demokratischer werde.

Natalie Bennett, die Chefin der Grünen, freute sich. „Seine Wahl, die Erstarkung der Grünen im vergangenen Jahr und der Erfolg der SNP in Schottland bei den Wahlen zeigen, dass viele eine Alternative zur Austeritätspolitik unterstützen“, sagte sie. „Die Grünen teilen Corbyns Opposition zur Austerität, zur Erneuerung der Trident-Atom-U-Boot-Flotte und zum Verkauf öffentlicher Vermögenswerte. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit.“

Die Trident-Flotte ist in Schottland stationiert, einen Ausweichstandort in England gibt es nicht. Nicola Sturgeon, die schottische Premierministerin von der Scottish National Party (SNP), sagte: „Ich hoffe, Corbyn wird so schnell wie möglich eine Garantie geben, dass Labour gemeinsam mit der SNP gegen die Erneuerung von Trident stimmen wird.“ Sturgeon warnte aber, dass viele Schotten die Unabhängigkeit als einzige Alternative zur Tory-Herrschaft sehen werden, wenn Labour nicht schnell nachweisen könne, dass die Partei eine realistische Chance auf den Wahlsieg 2020 habe.

Corbyn wurde von 83,7 Prozent der „Unterstützer“ gewählt. Voriges Jahr hatte der konservative Labour-Flügel auf dem Parteitag durchgesetzt, dass sich Menschen für drei Pfund als „Unterstützer“ registrieren lassen und an der Wahl des Parteichefs teilnehmen durften. Ziel war es, den Einfluss der Gewerkschaften zu schmälern. Dieser Schuss ging nach hinten los: Von 105.000 Menschen, die sich registriert hatten, wählten 88.500 Corbyn. Aber auch von den 292.000 eingeschriebenen Parteimitgliedern stimmten 245.000 für ihn. Der Einfluss der Gewerkschaften ist auch ohne den veränderten Wahlmodus zurückgegangen.

Es waren vor allem junge Leute, die Corbyn gewählt haben. „Die Medien verstehen die Ansichten vieler jungen Leute nicht“, sagte Corbyn. „Sie haben sie als unpolitisch abgeschrieben. Dabei sind sie sehr politisch. Aber sie werden durch die Art, wie Politik in Großbritannien gemacht wird, abgeschreckt.“ Tom Watson, der 48-jährige frühere Gewerkschaftsfunktionär, wurde zum stellvertretenden Parteichef gewählt. Im Gegensatz zu Corbyn ist Watsons politischer Standpunkt eher diffus. Bei Bürgerrechten steht er links, bei der Verteidigungspolitik hingegen rechts. Er tritt dafür ein, dass Großbritannien weiterhin zwei Prozent seines Haushalts in die Rüstung steckt.

Watson war es, der 2006 das Ende der Ära Tony Blair einläutete, indem er eine Mehrheit zusammentrommelte, die den damaligen Premier zwang, einen Termin für seinen Abschied zu nennen.

Corbyn muss nun sein Schattenkabinett aufstellen. Angeblich haben acht Mitglieder des derzeitigen Kabinetts einen Posten unter Corbyns Führung abgelehnt. Jamie Reed erklärte gleich nach Corbyns Wahl schriftlich seinen Rücktritt als gesundheitspolitischer Sprecher. Mit Corbyn an der Spitze sei es schwieriger für Labour, an die Macht zu kommen, schrieb er. Doch das Schattenkabinett ist mit der Wahl eines neuen Parteichefs ohnehin obsolet. Der konservative Parteiflügel wollte vorige Woche noch geschwind durchsetzen, dass das Schattenkabinett von den Abgeordneten gewählt wird, um Corbyn zu blockieren. Doch eine solche Änderung der Statuten bedarf der Zustimmung des Parteitags.

Ed Miliband, der nach der Niederlage bei den Parlamentswahlen im Mai zurückgetreten war und so die Wahl eines neuen Parteiführers ausgelöst hatte, gratulierte Corbyn und bot ihm seine Unterstützung an. Einen Posten im Schattenkabinett lehnte er aber ab. „Mein Platz ist auf den Hinterbänken“, sagte er. Ralf Sotscheck