Ist es jetzt schon ein Fortschritt, wenn sich eine Industrie zu deutschem Arbeitsrecht bekennt?
: Fleischindustrie will kein Schwein sein

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Was für eine Meldung! „Fleischindustrie bekennt sich zu deutschem Arbeitsrecht“ (NDR). Und was für ein schöner Tag für den rumänischen Werkarbeiter. Oder den bulgarischen. Den polnischen. Die Fleischindustrie, die mir die liebste unter allen Industrien ist, weil sie so etwas Schönes wie Fleisch produziert, anhand von Tieren, die sie dick werden und dann schlachten lässt, bekennt sich also.

Nicht, dass die Fleischindus­trie jetzt dem rumänischen Werk­arbeiter selber einen Arbeitsvertrag anbieten will. Nicht, dass sie ihm hier eine eigene Wohnung anbieten und einen angemessenen Lohn zahlen will, das jetzt nicht unbedingt. Eine Bezahlung über dem neuen Mindestlohn hält die Fleischfirma, nennen wir sie mal Weidemark (Tönnies) in Sögel, vielleicht für etwas übertrieben.

Das alles nicht, aber sie will sich bekennen. Sie will sagen, dass sie das deutsche Arbeitsrecht erst mal gut findet und dass sie das deshalb jetzt auch mal selber anwenden will, auf die Fleischfirmen.Die in Deutschland sind. Die in Deutschland produzieren. Das ist doch ein Fortschritt, dass sich diese Firmen dann jetzt mal zu dem deutschen Arbeitsrecht bekennen. Auch wenn denen das gar nicht mal so gut gefiel, in der Vergangenheit. Soziale Absicherung, das kostet, und das schlägt sich dann aufs Schnitzel nieder.

Das macht die Bratwurst gleich teurer und auch das Mett. Muss ja eigentlich nicht sein. Aber weil die Fleischindustrie auch kein Schwein sein will, und weil der Herr Gabriel sich da bemüht hat, bekennt sie sich jetzt, zum Mindestlohn zum Beispiel und zur sozialen Absicherung, in Form von Sozialversicherungen, und das ist jetzt das Besondere, tatsächlich für alle, die da arbeiten. Es gab in der Vergangenheit immer wieder mal schlechte Presse, auch für Sögel zum Beispiel.

Das gefiel der Fleischwirtschaft nicht gut, dass sie oft in einem schlechten Licht gezeigt wurde. Deshalb hat sich die Fleischindustrie also jetzt verpflichtet, und wenn sich die Werkvertragsfirmen nicht an die Selbstverpflichtung der Fleischindustrie hält, dann ist zwar die Fleischfirma nicht dran schuld, sondern die Werkvertragsfirma, aber der Werkvertragsfirma droht dann auch eine Konsequenz, ihr wird zum Beispiel der Vertrag gekündigt.

Genau genommen hat die Fleischindustrie sich jetzt für die Werkvertragsfirmen mit verpflichtet. Möglicherweise kontrolliert die Fleischindustrie jetzt die Werkvertragsfirmen ein bisschen. Und der Werkarbeiter bekommt jetzt immerhin ab Oktober schon einen Mindestlohn von 8.60 Euro. Er soll, wenn es klappt mit der Kontrolle und der Selbstverpflichtung, arbeitslosen-, renten- und krankenversichert sein.Was will er mehr? Selbst direkt in der Firma angestellt sein, damit nicht ein Subunternehmen einen Teil des Lohnes seiner Arbeit einstreicht? Mehr Lohn? Den gleichen Lohn, den der andere kriegt, der die gleiche Arbeit macht wie er?

Natürlich ist es für den Werk­arbeiter besser, dass er jetzt wenigstens 8.60 Euro kriegt. Es gab sonst genug, denen auch fünf Euro noch genehm waren, weil sie bei sich zu Hause weniger oder gar nichts verdient hätten. Und sieht der Unternehmer eine Möglichkeit, die Kosten zu minimieren, macht er das halt. Da interessiert ihn der Sozialstaat nicht. Da interessieren ihn auch gesellschaftliche und solidarische Werte nicht. Sieht er eine Möglichkeit, dies Vorgehen noch moralisch von sich abzuwälzen, indem er einen Subunternehmer beauftragt, spart er sogar noch lieber. Das ist so einfach wie unschön und beruht auf Ausnutzen von Notlagen.

Vielleicht ist es ein Fortschritt, dass sich eine Industrie jetzt zu etwas verpflichtet, was seit Langem Gesetz für den deutschen Arbeitnehmer ist. Aber richtig ist es lange nicht. Richtig wäre, jeden Arbeiter gleich zu behandeln, ihn ordentlich anzustellen und nach Tarif zu bezahlen. Dann hätte sich die Werkvertragsfirma erledigt.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.