Konzert für schizophrenes Cello

Hippen empfiehlt: In „Der Solist“ von Joe Wright beginnt ein abgebrühter Journalist eine schwierige Freundschaft mit einem psychotischen Streicher

Drehbuchschreiberin Susannah Grant folgte weitgehend dem Buch von Steve Lopez und presste die Geschichte nicht in eine der gängigen Dramaturgien

Von Wilfried Hippen

Man kann durchaus fragen, wer der titelgebende Solist eigentlich ist. Auf den ersten Blick ist es natürlich der Obdachlose Nathaniel Ayers, der auf den Straßen von Los Angeles klassische Musik auf seiner zweisaitigen Geige spielt und dabei von dem Journalisten Steve Lopez entdeckt wird. Doch auch dieser ist ein Eigenbrötler und spielt auf seiner Schreibmaschine virtuose Soli, die das Leben des Musikers radikal verändern.

Der Afroamerikaner Ayers war ein Wunderkind auf dem Cello, bis er durch eine Psychose auf der Straße landete. Lopez schrieb zuerst nur eine Glosse über ihre zufällige Begegnung, die dann eine Flut von Leserbriefen und Hilfsangeboten bei der Los Angeles Times auslöste. Eine Leserin schenkte Ayers ein Cello, und danach wurde Lopez zuerst nur aus rein professionellen Gründen eine Art Vormund für ihn.

So entwickelt sich im Film zwischen dem musikalischen Talent mit schizophrenen Schüben und dem zu einer festen Beziehung unfähigen Intellektuellen eine Freundschaft, die zum Glück nicht den Erzählmustern eines Hollywoodfilms folgt. Ayers wird nicht der gefeierte Liebling der Musikwelt (solch einen Film über einen psychotischen Pianisten gibt es schon: er heißt „Shine“ und wurde zum Sprungbrett der Schauspielkarriere von Geoffrey Rush) und Lopez wird nicht zum Gutmenschen. Genau diese Unberechenbarkeit des Schicksals macht den Film so spannend. Hier glaubt man sofort das „auf wahren Ereignissen basierend“, denn die Drehbuchschreiberin Susannah Grant war so klug, dem Buch von Steve Lopez weitgehend zu folgen und deshalb die Geschichte nicht in eine der gängigen Dramaturgien zu pressen. So bleibt Nathaniels Krankheit der Widerhaken des Films, denn sie bleibt unüberwindlich – auch wenn noch so viele wohlmeinende Musikliebhaber ihm dabei helfen wollen, sein Talent wieder freizulegen.

Wie schon in dem Film „Ray“, bei dem er sich auf der Leinwand in den Soulmusiker Ray Charles verwandelte, vergisst man bei der Leistung von Jamie Foxx in der Rolle von Ayers schnell, was für eine virtuose schauspielerische Leistung man hier sieht und man glaubt dann einfach, diesen Menschen tatsächlich vor sich zu sehen. Robert Downey Jr. ist ähnlich glaubwürdig als Steve Lopez, obwohl hier ein ganz anderer Mechanismus des Kinos greift: Das Image des durch seine exzentrischen Ausbrüche und Drogenexzesse notorischen Hollywoodstars deckt sich so präzise mit der Persönlichkeit seiner Filmfigur, dass man hier von einer punktgenauen Besetzung sprechen kann.

Der Brite Joe Wright, der zuletzt mit der Adaption des Romans „Atonement“ von Ian McEwan überzeugte, zeichnet in „Der Solist“ das ungeschönte Bild vom einem Los Angeles der sozialen Gegensätze. So zeigt er, wie Steve in einem Wohlstand lebt, der für ihn so normal ist, dass er ihn nicht ausstellen muss und so mit Jeans und T-Shirt auf dem Fahrrad durch die Stadt fährt. Nathaniel vegetiert dagegen in schlimmster Armut, die der Film aber nie ausstellt, sondern genauso selbstverständlich und detailreich zeigt wie die Redaktionsräume und Konzertsäle.

Auf einer anderen Ebene demonstriert der Film schließlich, was für eine transzendierende Kraft Musik haben kann. Wenn etwa in einer Montage die Klänge von Beethoven sich zusammen mit Tauben in die Lüfte erheben, mag dies für manche Zuschauer kitschig wirken, aber man kann nicht leugnen, dass diese Sequenz einen intensiven und erhebenden Eindruck macht.

Wenn er so spielt, ist Nathaniel mit sich und der Welt im Reinen. Aber er muss schließlich immer wieder den Bogen absetzten.