Warten auf Embryo, warten auf den magischen Moment: Eine zen-buddhistische Übung in Gelassenheit
Ausgehen und Rumstehen
von Thomas Mauch
Was, bitte sehr, soll man von einer Band erwarten, deren Schlagzeuger nach einigen Minuten, nachdem das Konzert dann doch noch begonnen hat, etwas pikiert feststellen muss, dass an seinem Instrument die Fußmaschine fehlt, mit der man erst die Basstrommel schlagen kann?
So was Verpeiltes passiert doch nicht mal einer Anfängerband. Am Freitag im Supamolly leistete sich diesen Fauxpas dafür eine Band, die jetzt immerhin auch schon seit 1969 unterwegs ist. Tatsächlich kann derlei eigentlich nur Embryo passieren.
Das verdienstvolle Krautjazzkollektiv aus München um Mastermind Christian Burchard machte dann eben irgendwie Musik, die sogar nicht sonderlich anders klang, als schließlich endlich so eine Fußmaschine aufgetrieben und montiert war.
Was ja alles auch eine Sache der Erfahrung ist. Und davon konnten Embryo in nun mehr als 45 Jahren unterwegs eine Menge sammeln. Diese Band hat schließlich wirklich schon alles gesehen, zuerst jede einzelne Mehrzweckhalle in Deutschland, um dieses so hüftlahme Land überhaupt erst mit Rockmusik zu missionieren, und dann wirklich jeden weiteren Zipfel dieser Welt, die sie auf der steten Suche nach erregender Musik mit ihrem Tourbus abgeklappert haben. Seit 1969 also sind Embryo unterwegs, auf ihrer ewigen Tour, dem endlosen Trip, dem immerwährenden Soundcheck – was man nur noch metaphysisch als Lebensprinzip begreifen kann. Das wird auch von einer doofen Fußmaschine nicht ins Wanken gebracht.
Wobei man auf der anderen Seite, beim Publikum, doch ziemliche zen-buddhistische Gelassenheit aufbringen muss, wenn man in diesem Lebensrhythmus mitgrooven will. Weil Embryo eben auch die Band sind, die einen schon deswegen mürbe macht, weil es endlose Ewigkeiten dauert, bis sie erst mal auf die Bühne kommt, wo die Musiker dann weitere endlose Ewigkeiten irgendwelche Gerätschaften von hier nach dort tragen oder zumeist einfach nur nichts tuend herumlungern, dass man sich bang fragen will, ob man bei einem Embryo-Konzert schon auch während des Wartens darauf einfach wegsterben kann.
Und dann hat das Konzert doch angefangen. Einfach so.
Das klang dabei manchmal nach einer musikalischen Krabbelgruppe, mit einem scheinbar orientierungslosen Klöppeln und Daddeln, auf der Suche nach der Ekstase. Bis plötzlich doch ein Schwung in der Sache war mit einem orientalisch versierten, zwingenden Jazzrock. Die Momente der Embryo-Magie. Die man, weil doch sowieso nichts festzuhalten ist in diesem Leben, auch wieder verläppern ließ. Kann sich doch im nächsten Anlauf wieder finden, so ein Moment. Oder halt erst im übernächsten.
So war das alles auch wieder am Freitag in der Kellergruft vom Supamolly, Startpunkt der diesjährigen spätsommerlichen Embryo-Tour durch die Hinterzimmerclubs in Berlin. Noch einmal haschen nach dem magischen Moment kann man heute Abend, wenn Embryo in der Charlottenburger Friedenskirche in der Bismarckstraße spielen. Irgenwann nach 20 Uhr.
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