Nie ideologisch

Johann Legner war der erste Rathausreporter des Berlin-Teils. Bei der taz lernte er, immer eine Frage voraus zu sein

Ich bin Ende 1979 zur taz gekommen. Damals gab es nur wenige Leute, die einen realen Bezug zur Stadt hatten. Es gab die Exilanten aus Frankfurt, die hassten Berlin, und es gab die Neuberliner, die das nicht interessierte. Die wenigen, die Berlin toll fanden, haben sich dann zusammengetan. So entstand der Berlin-Teil.

Einfach war es nicht. Kalle Ruch, der Geschäftsführer, war sehr skeptisch: Er meinte, wir bräuchten 2.000 zusätzliche Abonnenten in Berlin, damit sich das trägt. Aber dann überstürzten sich die Ereignisse, der Stobbe-Senat trat zurück, Hans-Jochen Vogel kam als Regierender Bürgermeister, verhängte ein Räumungsmoratorium, und binnen kürzester Zeit waren 140 Häuser besetzt. Für die war der Berlin-Teil der taz ein wichtiges Kommunikationsorgan. Spätestens da hat sich keiner mehr getraut, uns in Frage zu stellen.

Was uns in der Berlin-Redaktion vereinte, war die Maxime: Wir nähern uns der Wirklichkeit in der Stadt an. Für manchen wie Michael Sontheimer gehörten dazu auch die Peepshows. Kaum haben wir über die Ankündigung des Bezirksamts Charlottenburg geschrieben, alle Peepshows zu schließen, kam ein Rollkommando in die Wattstraße und hat die Redaktionsräume mit Buttersäure übergossen. Den Gestank haben wir noch Jahre später gerochen, er hat meine Zeit in der taz begleitet.

Einmal wurde auch meine Wohnung auseinander genommen. Das war 1982, die Israelis waren gerade im Libanon einmarschiert. Ich habe die Stimmung in der Stadt in einem Artikel beschrieben, der hieß: „Das Leid zweier Völker“. Es ging um eine Veranstaltung der Palästina-Soliszene und einer jüdischen Studentengemeinde. Das war für viele der totale Tabubruch.

Die Berlin-Redaktion war im Vergleich zum Rest der Zeitung nie ein ideologisierter Haufen. Wir haben eher versucht zu beschreiben, was in der Stadt passierte. Dabei gab es aber mehr Action als eine Reflexion darüber, was da eigentlich stattfindet.

Zu diesem undogmatischen Herangehen gehört auch, dass ich als Polizeireporter als Erster in Berlin mit der Polizei während eines Einsatzes mitgefahren bin und darüber berichtet habe. Viele andere Polizeireporter haben sich dafür nicht interessiert.

Es gab schon Dinge, die wir bewegt haben. Als ich später Rathausreporter wurde, ging ich in die Landespressekonferenz. Damals hieß das noch „Kolchose“, weil die alle so eine klebrige Verschworenheit gepflegt haben. Da haben wir nicht mitgemacht, haben dabei mitgeholfen, das Stück für Stück aufzubrechen.

Für mich waren die sechs Jahre bei der taz die Zeit in meinem beruflichen Leben, die mich am meisten geprägt hat. Damals habe ich gelernt, mich mit der ersten Antwort nie zufrieden zu geben, immer eine Frage weiter zu sein. Dass ich bei der taz war, hat mir nie geschadet, im Gegenteil. JOHANN LEGNER