JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: Sündige Sonnenallee

Heute geht mit dem Ramadan auch die Zeit des Verzichts zu Ende – es war höchste Zeit

Irgendwie klingt es schon seit Tagen anders; leise ist es ja nie im arabischen Viertel unserer Stadt – und das ist doch schön so. Ein fast dörflich-basarhaftes Gewummer auch heute, aber irgendwie schmeckt die Luft anders. Im Frisörsalon steht Ahmad und macht aus Haaren Frisuren; kein Rhythmus, keine Melodie ist zu hören aus dem Satelliten-TV, wo ein Mann im wallenden Umhang an einem Tisch sitzt und spricht. Man kommt sich vor wie damals, weit in den Siebzigern, am Karfreitag, als zwei Teenager in der Frittenbude zwei Colas und Pommes mit Mayo wollten und „keine Musik hier?“ ausriefen, die Bedienung aber schroff beschied: „Is doch Feiertach heute, mit Christus heute, Musik is nich, ne? Is Gesetz so.“ Pommes gehn in Ordnung, Deep Purple nicht.

An der Sonnenallee nimmt mich mein absoluter Lieblingsfrisör in Beschlag; der Mann aus Beirut trägt einen Zopf, die Augenbrauen tipptopp gezupft, fünf Jahre saß er in Italien im Knast, „Passvergehen“, aber fünf Jahre, das ist nicht sehr lange für falsche Papiere, „war so aber“, sagt er, und was schert mich seine Vorgeschichte, er ist da, ein begnadeter Frisör, er lebt gerne in Deutschland, aber er sieht besorgt aus. Schneidet hoch konzentriert, serviert Tee und hält die Zigarette in der Handfläche versteckt, der Aschenbecher steht auf meinem Knie – er ascht darin ab wie ein Schüler, der nicht beim Qualmen auf dem Schulhof erwischt werden will.

Ahmed ist niemand, der seine neue Heimat als Asyl nimmt, sondern als Platz an der Sonne. „Meine Kinder gehen hier auf die Schule, meine Frau arbeitet, alles Frieden hier.“ So wie sie jetzt eben scheint, spät im Oktober, fahl etwas, schön und warm.

„Is Ramadan“, sagt er plötzlich, die Schere in der rechten Hand gen Himmel zeigend, „und ich darf nicht nach draußen gucken.“ Und? Ein religiöses Fest, klar … bestimmt wichtig, kostbar und rein, aber er riecht nach Angst, nach Schweiß und harter Arbeit. Irgendwie verfliegt auch das Zitronenwasser viel zu schnell: „Muss hier aufpassen, nix erlaubt, was die Augen streichelt.“ Bitte? Ahmed und ich haben einen Pakt geschlossen, wir sind uns einig.

Ein Männergespräch, eines unter Kumpels, von denen der eine von drückender Last gepeinigt wird: „Frauen! Nix Frauen angucken, is bei Ramadan verboten. Ich mein, im Autoverkehr geht nich anders, Frauen sieht man am Zebrastreifen, dann muss man sie besser sehen, also seh ich sie …“

Aber hier im Laden, mit Blick auf einen der schönsten Laufstege südlich vom Hermannplatz? Die meisten Frauen tragen doch Kopftücher … und ist er nicht verheiratet? „Ja, schöne Frauen, schöne“ – er macht dabei eine krass und ausladend wölbende Geste mit beiden Händen „Hintern“, ja, die Hände nun vor dem Oberkörper kreisend, „so, du verstehst, Titten, rund, golden, warm und fest“. Er sagt dies im astreinen Deutsch, sein Gesicht ist nicht mehr eingetrübt, die Augen schwärmen. Wenn es dunkel wird, kann er doch erlöst werden, seine Frau und er führten doch bestimmt eine gute Ehe, nicht wahr? „Ja, alles …“, er lächelt, „okay, aber die Augen suchen die Sünde, die so schön ist, und ich kann nicht anders“. Nun rasiert er meinen Nacken, es rieselt den Rücken herunter, „das Leben is super dann“.

Noch einen Tag muss er sich vorsehen, sagt er, obwohl er weiß: „Is doch Deutschland, klar, alles frei, kann ich machen, was ich will“, und beteuernd, „sagt meine Frau auch“.

Ahmad in seiner Welt, die keine besondere sein will. Ramadan, verzichten und fasten, wenn es hell ist, damit Allah uns als die Seinen erkennt, „aber Allah macht Schönheit, und er quält mich, und wer quält, kann nicht Allah sein“, sagt mein Frisör, der „nach Hause nach Libanon Urlaub macht, wenn Geld reicht“, aber jetzt Haare schneidet für seine Freiheit, für seine Familie, seine Kinder und bestimmt auch seinen Schöpfer: „Meine Frau so schön.“

Fotohinweis: JAN FEDDERSEN PARALLELGESELLSCHAFT Fragen zum Triebstau? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL